Death Stranding

(Copyright: Sony)

Audio/Podcast zum Gamecheck:

Wohl kein anderes Game war in den letzten Jahren mehr gehyped worden, über keines mehr gerätselt worden als „Death Stranding“ von Japans schrägen Star-Designer Hideo Kojima. Seit der Ankündigung 2016 gab es kaum mehr als einen mysteriösen Trailer, zuletzt ein paar Spielszenen und den Hinweis, dass man damit ein neues Spielegenre schaffen werde. Am 8.11. endlich kommt Death Stranding. Und es ist tatsächlich anders, abstrus-skurril, manchmal mehr Kunst als Spiel. Eines, über das die Leute noch lange reden werden. Und auf jeden Fall auch eines, das heftig polarisieren wird, so viel ist sicher.

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Das Wandern ist des Daryls Lust

Gefühlt seit Stunden quäle ich mich durch die felsigen Berge. Die geradezu absurd aufgetürmten Kisten auf dem Tragegestell auf meinem Rücken lassen mich immer wieder wanken, stolpern, stürzen. Mit Hilfe der Shouldertasten halte ich notdürftig die Balance. Die Gurte scheuern, es regnet. Spaß ist anders. Ich bin Sam Porter Bridges. Ich bin ein Bote.

Das soll Amerika sein, wird gesagt. Bzw. das war mal Amerika. Jetzt ist komplett zerstört. Warum? Keine Ahnung. Ist eben so, take it or leave it. Es gab eine Explosion. Das muss reichen, fürs erste. Das mit dem Amerika glaube ich eh nicht so wirklich. Viel her ähnelt es einer Mischung aus Island, dem Kroatien Winnetous mit einer Spur Neuseeland – wenn mal die Sonne scheint. Dazwischen die teilweise monströsen Ruinen und Bauten futuristischer Städte. „This is not America“ sang mal David Bowie, ohne Death Stranding je gespielt zu haben.

Das ist die Welt, Kojimas Welt, durch die ich meine Pakete schleppe, immer schön von A nach B. Zuweilen muss ich die auch schon mal in C klauen, bevor ich sie nach B schleppen darf. Das ist aber auch schon fast alles, was das Missionsdesign an Abwechslung zu bieten hat. Aber es ist – trotz aller Leere und Trostlosigkeit, oder gerade deshalb – eine faszinierende Welt. Die Einsamkeit fühlt sich gut an, hat etwas meditatives, und wenn dann doch mal ein Highlight am Horizont erscheint, in Form eines mächtigen Wasserfalls, von schneebedeckten Gipfeln oder einem Regenbogen, sauge ich es dankbar auf. Eye Candy in der Ödnis.

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Der Rote Faden

Damit die ganze Schlepperei auch einen Sinn hat, braucht sie einen roten Faden, ein Motiv, eine Geschichte, die über allem steht und alles zusammenhält. Will man es vereinfacht ausdrücken, sollen wir – also Sam Port Bridges alias Norman Reedus (genau, das ist der Daryl Dixon aus The Walking Dead), also soll wer auch immer das auseinander gefallene Amerika wieder vereinen. Was ja durchaus eine ganz aktuelle Aufgabe ist.

Dazu müssen wir quer durch die einstige USA wandern, von der Ost- zur Westküste, um Städte, Bunker, Forschungsstationen oder Farmen wieder miteinander zu vernetzen und zu überreden, den UCA, den United Citys of America, beizutreten.

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Warum ausgerechnet Sam? Kann das kein anderer machen? Denn unterwegs lauern GDs, eine Art pixelhafter Geister, die schwebend Jagd auf die letzten Menschen machen, indem sie sie in plötzlich auftauchende ölige Seen ziehen. Sam nun hat eine Krankheit namens „Dooms“, die ihm hilft, das Kommen der GDs zu spüren. Mit Hilfe seines „BBs“, einem Neugeborenen mit Nabelschnur in einem Glasbehälter, kann Sam die GDs dann sogar sehen – Odradek Scanner, so heißt das Teil. Klingt verrückt? Hey, das ist Kojima. Wartet mal ab, da kommt noch viel mehr in der Richtung.

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Es wird schräg

Da sind ständige Halluzination und vermeintliche Erinnerungen, da ist der Zeitregen, der Menschen altern lässt und Dinge zerstört und ein neues Mineral namens Chiralium, das entsteht, wenn Tote zu GDs werden und einerseits schädlich, aber irgendwo auch wieder nützlich ist – zum Beispiel für den Aufbau des Netzwerkes. Es gibt einen ominösen Strand, der in den Erinnerungen immer wieder auftaucht, es gibt den „gestrandeten Tod“, eine Amelie, die es aus den Fängen des Terroristen namens Higgs und seinen Homo Demens zu retten gilt, weil die mit Sam verbunden oder verwandt ist (ich will hier nicht spoilern) und zudem auch die neue Präsidentin.

Da sind die MULE, Gangsterbanden, die es auf deine Ladung abgesehen haben und denen man anfangs besser aus dem Weg geht. Erst später bekommt Sam Waffen an die Hand, um sich zu wehren. Zum Beispiel Granaten, die aus seinen Ausscheidungen gewonnen werden. Oder die Bolaguns, die die MULEs fesseln und betäuben. Noch später gibt’s zwar auch tödliche Waffen, aber töten ist in Death Stranding keine gute Idee, da sich die Toten dann wieder in GDs verwandeln oder noch Schlimmeres passiert.

Dabei finden sich bei all dem Tod und Zerstörung auch durchaus witzige Momente. Etwa, wenn Sam in die freie Natur pinkelt und dadurch Pilze wachsen lässt. Oder ein Roboterbote sich munter pfeifend auf den Weg macht.

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You are not alone: Give me a LIKE

Auch wenn die Spielewelt leer ist – NPCs erscheinen fast ausschließlich als Hologramme, und die Tierwelt beschränkt sich auf Schmetterlinge und die nahrhaften Würmer, die Kryptobioten… trotz all dem seid ihr nicht alleine unterwegs. Zwar trefft ihr nie direkt auf die anderen Spieler auf eurem Server, die ebenfalls als Sam unterwegs sind in Richtung Westen, könnt aber trotzdem mit ihnen interagieren. So könnt Ihr zusammen an Straßen, Unterständen, Energiestationen oder Wachtürmen bauen, euch in Briefkästen Material zuschanzen, könnt ihnen Nachrichten in Form bunter Schilder hinterlassen, oder Leitern, Brücken und Seile, um den Weg zu erleichtern.  Zur Belohnung gibt es „Likes“. Die überhaupt die Grundwährung im Spiel sind, damit werden auch die Lieferungen bezahlt. Je mehr Likes, desto höher mein Rang, desto mehr kann ich tragen, desto weniger oft falle ich hin und desto mehr Likes kassiere ich. Facebook lässt grüßen.

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Der Anfang: Man quält sich so durch. Aber dann…

Ganz ehrlich: Die ersten 10 Stunden von Death Stranding sind eine Quälerei. Nach der anfänglichen Faszination über die wundersame Spielewelt und die verschwurbelten Einfälle des Hideo Kojima macht sich Langeweile breit.  Schwankend von A nach B stapfen, sich vor GDs und Mules verstecken, Knoten knüpfen, neue Aufträge bekommen und alles wieder von vorne. Irgendwann aber Kojima ein Einsehen und schmeißt uns mit Dingen zu, die das Leben leichter machen. Blutgranaten gegen GDs, fahrbare Untersätze, Exoskelette, Portale, Autobahnen, immer neue Waffen – das alles verkürzt die Wanderzeit ganz erheblich, macht die Sache noch später dann aber auch wieder schon fast zu einfach.

Gegen Ende hin, im letzten Drittel dann, nimmt das Game ordentlich Fahrt auf und das Ende selber schließlich ist ganz groß – nein, ich verrate da nix, darf ich auch gar nicht, hat Herr Sony persönlich verboten. Aber es entschädigt für so manche Länge, die Death Stranding zweifellos hat.

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Was mich genervt hat

Nervig bleibt dann, dass immer wieder kehrende Aktionen die immer gleichen Videosequenzen abrufen, ohne Chance auf Abbruch. Sam liefert eine Kiste ab? Videosequenz. Sam fährt mit dem Aufzug in sein Privatquartier? Videosequenz. Sam setzt eine Mütze auf? Videosequenz. Das sieht beim ersten Mal beeindruckend aus, beim hundertsten Mal dagegen beißt man in den Controller. Der ohnehin leiden muss: Die Menüs sind zuweilen unnötig verschachtelt und nicht immer logisch. Immer wieder mal lande ich in irgendwelchen Schleifen, weil ich die richtige Schaltfläche für den Ausgang verpasse. Wollen Sie den Auftrag wirklich abbrechen? Nein, verdammt noch mal, ich will hier nur raus.

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Hohe Promi-Dichte

Nun kann man nicht über Death Stranding sprechen, ohne auf die extrem hohe Promi-Schauspieler-Dichte zu verweisen. So sind neben Norman Reedus unter anderem auch Mads Mikkelsen, Guillermo del Torro, Lea Seydoux, Conan O’Brien, Troy Baker, Lindsay Wagner, Margret Qualley, Edgar Wright und viele andere mit dabei. Und wenn euch der ein oder andere Name jetzt nix sagt, dann googelt die halt. Sind jedenfalls große Nummern.

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Und nun? So was wie ein Fazit.

Ok, und was ist Death Stranding nun? Ein Walking Simulator? Eine Boten-Simulation? Ein Open World Survival MMO? Ein Kunstwerk? Gar ein politisches Game? Nun – vermutlich von allem ein bisschen. Ob es damit aber auch ein neues Genre begründet? Eher nicht.

Und nun? Kaufen oder nicht? Death Stranding ist anders, es will gar nicht gefallen, Kojima ist es augenscheinlich völlig wumpe, was ihr davon haltet. Auf der einen Seite hat es große Momente, übt eine seltsame Faszination aus (wenn man die ersten 10 Stunden erstmal geschafft hat), auf der anderen Seite kann es auch sehr frustrierend und langweilig sein. Wer lange genug dran bleibt, wird aber in jedem Fall belohnt. Es ist zumindest eine wirklich einzigartige Spielerfahrung. Ob euch die gefällt oder nicht – das müsst ihr dann schon selber herausfinden.

 

Game: Death Stranding

Genre: Walking-Simulator-Open-World-Surviving-MMO

Release: 08.11.2019 (PS4 - 2020 auch PC)

Entwickler/Publisher: Kojima Productions / Sony

USK: ab 18

Sprachausgabe/Texte: Deutsch /Deutsch 

Webseite: https://www.playstation.com/de-at/games/death-stranding-ps4/

 

Wertung: 9 von 10