Life is strange 2

(Copyright: Square Enix)

Audio/Podcast zum Gamecheck:

Dass das Leben strange ist, wissen wir nicht erst seit dem gleichnamigen Episoden-Adventure von Dontnod Entertainment. Um das zu erkennen reicht es, in einen Junggesellenabschied in der Düsseldorfer Altstadt zu geraten. Trotzdem haben wir die erste Staffel des hochemotionalen Mysterie-Teenie-Abenteuers um Max Caulfield und ihre Freundin Chloe bis zum bitteren Ende mit Spannung verfolgt. Zeitmanipulation, tolle Charaktere, schicke Optik und eine hervorragende Atmo machten „Life is Strange“ 2015 zu einem der besten Spiele des Jahres. Im September 2018 startete nun der zweite Teil, der jetzt, gut 15 Monate später, nach fünf Folgen zu einem Ende gekommen ist – mit neuen Darstellern, neuer Story, aber bewährten Inhaltsstoffen. Kann „Life is strange 2“ die Erwartungen erfüllen oder gar übertreffen? Oder ist es nur noch ein aufgewärmtes, abgenutztes Konzept?

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Die Story: Wie alles beginnt

Wie gesagt: Max und Chloe sind Geschichte, auch das Küstenstädtchen Arcadia Bay taucht hier nur einmal am Rande auf. Übrigens dann entweder zerstört oder intakt – je nachdem, welches Ende Ihr in Teil 1 gewählt hattet.

An der Stelle eine Warnung: Ja, ich werde gleich hier und da hemmungslos spoilern, was den weiteren Handlungsverlauf angeht. Wer also ernsthaft vorhat, das Game selber noch zu spielen, der spult entweder vor bis zum Fazit oder hört sich das hier später an. Soll ja keiner sagen, ich hätte euch nicht gewarnt.

Also, Max und Chloe sind Geschichte, die neuen Hauptdarsteller sind der 16jährige  Sean Diaz und sein Bruder, der neunjährige Daniel – ja, wirklich, Daniel Diaz. Der Name hat was von Donald Duck oder Micky Maus. Egal. Die beiden leben jedenfalls zusammen mit ihrem mexikanischen Vater in einer gutbürgerlichen  Vorstadt von Seattle, wo der als Automechaniker arbeitet.  Beschaulich – nennen es die Älteren. Lame die jüngeren. Das Familienleben ist harmonisch: Vater und Söhne streiten freundschaftlich um den letzten Schokoriegel, man macht sich Gedanken, was wohl nach der Highschool kommt und freut sich auf die Verlockungen einer Freitagabendparty. Aber wie das häufig so ist, macht das Leben von einer Minute zur anderen einen gekonnten U-Turn und plötzlich ist alles anders und nichts mehr so wie es war. Alles beginnt mit einem nichtssagenden Streit mit dem Nachbars-Bully, ein typischer Trump-Fan, der etwas gegen Halb-Mexikaner hat.

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Und plötzlich ist alles anders

Es kommt zu Handgreiflichkeiten, jemand ruft die Cops, der Vater erscheint auf der Bildfläche, ein Wort gibt das andere, der Cop wird nervös und dann fällt ein Schuss. Vater Diaz sinkt getroffen zu Boden – und plötzlich ein Schrei von Daniel und  Polizisten und Autos werden wie Spielzeug durch die Luft geschleudert. Waren da übernatürliche Kräfte im Spiel?

Als Sean wieder aufblickt, bietet sich ihm ein Bild der Verwüstung. Trümmerteile, Wracks, der Vater tot und ein lebloser Cop im Vorgarten, während in der Ferne Sirenen schon das Eintreffen weiterer Ordnungshüter ankündigen. Auf das man besser nicht wartet. Sean schnappt sich Daniel und macht sich aus dem Staub. Es ist der Beginn eines mehrmonatigen Roadtrips quer durch die USA. Von Seattle, das ja knapp unterhalb der kanadischen Grenze liegt, immer weiter nach Süden Richtung Mexiko, wo man zu den Verwandten des Vaters will. Aber natürlich kommt alles anders. Ponyhof und so.

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Ständig wechselnde Schauplätze

Von jetzt an wechselt in jeder Folge mindestens einmal der Schauplatz. So machen die beiden Brüder in der zweiten Episode, die den Titel „Rules“ trägt, erst in einer verlassenen Hütte mitten in den verschneiten Wäldern Station. Dort können sie aber nicht bleiben; die Lebensmittel werden knapp und Daniels Erkältung verschlechtert sich. Also reisen sie zu den Großeltern mütterlicherseits. Hier treffen sie auch auf Captain Spirit, den Helden aus dem Prolog. Bei den Großeltern finden sie einen Brief ihrer Mutter, die die Familie vor Jahren Knall auf Fall verlassen hat. Anscheinend sorgt sie sich trotzdem um ihre Jungs. Das wirft Fragen auf. Warum hat ihnen niemand von dem Brief erzählt? Ihre Mutter – also die Großmutter der Jungs – will davon aber nichts mehr wissen. Für sie ist die Tochter gestorben.

Nach einer neuerlichen Flucht – die Polizei ist ihnen auf den Fersen – landen die beiden im dritten Teil namens „Wasteland“ mit einer Aussteiger-Kommune auf einer Cannabis-Plantage, wo Sean für ihren Lebensunterhalt arbeitet. Der Ton ist rau, am Ende eskaliert es auch hier. Die beiden werden getrennt, Sean landet im vierten Teil mit dem Titel „Faith“ erst einmal im Krankenhaus, Daniel bei einer Sekte, wo er wegen seiner Psi-Kräfte – auf die wir gleich noch kommen – als Engel gefeiert wird.

Im fünften Teil dann endlich das große Finale, in der auch die Mutter von Sean und Daniel eine Rolle spielt – das Ende wird aber trotz der ganzen Spoilerei bis hierhin jetzt nicht verraten. Schon deshalb nicht, weil es sieben verschiedene davon gibt. Es liegt an euch, an euren Entscheidungen, wie die Sache ausgeht.

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Blasse Nebenfiguren und Politik

Der ständige Wechsel der Schauplätze ist natürlich erstmal eine feine Sache, so kommt Abwechslung ins Spiel. Weniger schön daran ist, dass dadurch auch die Personen dauernd wechseln; so bleibt nie Zeit, eine mal näher kennen zu lernen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen spielen die immer nur in einer Episode eine Rolle.

Hinzu kommt, dass viele Figuren zu platt gezeichnet sind: Die Bösen sind klar erkennbar böse, die Guten von Anfang gut, da fehlen die Zwischentöne. Respekt, dass das Game auch aktuelle politische und gesellschaftliche Stimmungen einfließen lässt – wie etwa religiösen Fanatismus, Polizeigewalt oder der von Trump geschürte Abneigung gegen Einwanderer im Allgemeinen und gegen Mexikaner im Speziellen – doch auch hier packt Life is Strange 2 oftmals den Holzhammer aus; etwas subtiler wäre schön gewesen.

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Er oder ich

So können uns dann nur die beiden Hauptdarsteller ans Herz wachsen. Vor allem Sean, der in einem ständigen Zwiespalt zwischen Beschützer und Erzieher für seinen kleinen Bruder  und seinen eigenen Bedürfnissen als Jugendlicher steht. Letztere werden vom Spiel sehr behutsam und feinfühlig dargestellt. Daniel dagegen reagiert empfindlich, wenn er das Gefühl hat, nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Bruders zu bekommen. Oder wenn er sich hintergangen fühlt. Immer wieder müsst Ihr Euch entscheiden: Eigene Bedürfnisse oder der Bruder, was steht gerade oben an? Ihr seid aber auch Vorbild – was ihr ihm vorlebt, wird er verinnerlichen oder nachahmen. Ihr seid verantwortlich für sein Moral- und Wertesystem. Das wiederum entscheidend das Ende des Spiels ist, für den großen Showdown an der mexikanischen Grenze.

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Die Sache mit den Superkräften

So geht es in „Life is strange 2“ dann auch weniger um die telekinetischen Superkräfte von Daniel, der mit der Kraft seiner Gedanken Objekte bewegen und fortschleudern kann. Und die geweckt wurden, als sein Vater erschossen wurde. Zwar sorgen die hin und wieder für ein Ausrufezeichen in der Story, auch liegt es an euch und euren Entscheidungen, wie und gegen wen er die einsetzt, doch ist der Fokus des Games klar auf der Beziehung zwischen den beiden Brüdern und auf der Coming-of-Age-Geschichte des Älteren.

Leider sind diese Ausrufezeichen auch dringend notwendig, da „Life is strange 2“ auch immer wieder von längeren Durchhängern geplagt wird, bei denen einfach nichts passiert. Außer, dass Ihr die Location abklickt und belanglose Infos sammelt. Da war der Vorgänger noch von einem ganz anderen Kaliber, hatte mehr Power, fesselte einfach mehr.

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Fazit

Das alles macht Life is strange 2 aber nicht zu einem schlechten Spiel. Es ist ein behutsames Spiel um Erwachsenwerden, um Verantwortung, und ja, auch eine Abrechnung mit Trumps Amerika. Dass es gerade bei letzterem häufig zu dick aufträgt und in Klischees abrutscht ist schade, schmälert die guten Absichten aber nicht gänzlich. Auch die Durchhänger und die blassen Nebenfiguren hätte man vermeiden müssen. So ist es am Ende kein sehr gutes, aber ein interessantes Game, das sein Potenzial nicht ausschöpft, aber es trotzdem verdient, gespielt zu werden.

 

Game: Life is strange 2

Genre: Adventure

Release: 27.09.2018 – 03.12.2019  (PC, PS4, Xbox One)

Entwickler/Publisher: Dontnod Entertainment / Square Enix

USK: ab 12

Sprachausgabe/Texte: Englisch /Deutsch 

Webseite: https://lifeisstrange.square-enix-games.com/de

 

Wertung: 7 von 10