Ghost of Tsushima

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Fast sieben lange Jahre waren wir mit der Playstation 4 unterwegs und haben schöne und schlechte Spiele miteinander geteilt. Bevor nun aber Ende des Jahres mit der PS5 die Wachablösung erfolgt, haut Sucker Punch jetzt noch einen letzten großen Exklusivtitel raus: Das Samurai-Epos „Ghost of Tsushima“.  Die können ja nun schon einige Erfahrung mit Open World Games vorweisen. Aber haben die jetzt einfach mal Infamous ins alte Japan geschoben? Oder steckt da vielleicht doch noch einiges mehr dahinter? Ist Ghost of Tsushima der letzte große Exklusiv-Paukenschlag für die PS4 geworden oder nur ein lauer Tusch?

Audio/Podcast zum Gamecheck:

Kleine Geschichtsstunde (ich frage später ab)

Wir schreiben das Jahr 1281. Nachdem die Mongolen im Jahr 1274 unter Khubilai Khan mit einem ersten Versuch, Japan zu erobern gescheitert waren – am Ende versenkte dann noch ein Sturm ein Drittel ihrer baufälligen Flotte – landeten sie 1281 erneut in Japan. Genauer: Auf der Insel Tsushima am südwestlichen Ende Japans. Wo sie allerdings im Lauf des Jahres zwei Mal erneut zurückgeschlagen wurden. Das ist die historisch korrekte Grundlage des Games.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Gefangene Onkel und böse Mongolen

„Jetzt werde ich für mein Volk sterben“ – verkündet Jin Sakai vor der ersten großen Schlacht gegen die Mongolen. Aber natürlich stirbt unser Held, seines Zeichens Fürst und Samurai, nicht, sondern wird gerettet und überlebt. Und zwar von der Diebin Yuna. Die das aber nicht gemacht hat, weil sie so ein guter Mensch ist, sondern weil sie seine Hilfe benötigt. Er soll ihr helfen, ihren Bruder – einen begnadeten Schmied – aus den Klauen der Mongolen zu befreien. Jin wiederum hat da ein drängenderes Problem: Was ist mit seinem Onkel Fürst Shimura geschehen, der die Samurai in der Schlacht angeführt hatte. Yuna hat frohe Kunde:  Onkelchen lebt, aber ist wohl in mongolische Gefangenschaft geraten. Klare Sache: Auf zur Burg Kaneda, eben mal den Onkelfürsten da raushauen, der sagt dem Shogun Bescheid, der die Mongolen dann mal eben ins Meer zurücktreibt. Soweit der Plan.

Nun ist der mongolische Anführer Khotun Khan aber ein echter Brocken, randvoll mit Kampferfahrung, Muskeln und viel Selbstvertrauen. Und tatsächlich bekommt Jin dann auch mächtig die Hucke voll und kann froh sein, den Kampf gegen den Mongolenchef überhaupt überlebt zu haben. Da muss also ein neuer Plan her. Und vor allem auch einige Verbündete, die Jin im Kampf gegen die Mongolen helfen, um am Ende den Onkel da doch noch rauszuhauen. Und die gilt es nun zu suchen.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Gute Missionen (auch ohne Bahnhof)

Dann also auf in die offene Spielewelt der Insel Tsushima. Die Hauptstory besteht aus mehreren eigenen Missionsbäumen für die vorgegebenen Verbündeten, die wir für uns gewinnen müssen. Die Missionsreihenfolge ist dabei jeweils vorgeben.  Zum Beispiel müssen wir Yunas Bruder erst aufspüren, dann befreien, dann ihm helfen, eine alte Schmiede in Gang zu bringen und zu verteidigen, um am Ende ein wichtiges Kletterwerkzeug zu bekommen. Diese Hauptmissionen sind allesamt in schöne, zum Teil anrührende Geschichten eingebettet. Da ist nichts aufgesetzt, eins ergibt sich aus dem anderen. Das macht richtig Spaß, denen zu folgen, das hat schon was von einer TV-Serie.

Dazu kommt aber auch noch einiges an optionalen Nebenmissionen, die meist aus der geknechteten Bevölkerung kommen. Hier muss eine Straße oder eine Brücke von Mongolen geräumt werden, dort ein Holzlager oder eine Werft zerstört. Oder wir suchen vermeintliche Geister im nächtlichen Wald oder überführen einen Betrüger, der sich als Samurai ausgibt. Da steckt einiges an guten Ideen und an Abwechslung drin, auch wenn vieles am Ende dann doch wieder in einem Gefecht mit den Besatzern mündet.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Kampfsystem: Klasse

Was mich zum überaus facettenreichen Kampfsystem bringt. Facettenreich, weil es zum Beispiel schon mehrere Grundstellungen hat, aus denen heraus wir attackieren, kontern oder blocken. Eine ist dann gegen Schildträger effektiv, die andere gegen Brecher und so weiter. Immer feste druff führt meist zu nichts bzw. zu unserem Ableben. Timing, ein gutes Auge und die richtige Stellung und die richtigen Attacken sind gefragt, wenn man Erfolg haben will.

Je weiter man im Spiel kommt, desto variantenreicher werden die Kämpfe, desto mehr Möglichkeiten habe ich und desto besser fühlt sich das an. Mit der Zeit kommt man richtig in einen Flow aus Attacken und Kontern – der auch noch wirklich gut aussieht. Ich habe ja selber viele Jahre Kendo praktiziert, also den japanischen Schwertkampf mit Bambusschwertern und hab deshalb vermutlich noch mal so viel Spaß daran.

Jede gelungene Aktion im Kampf sorgt dafür, dass sich eine spezielle, aus mehreren Punkten bestehende Anzeige füllt. Die wiederum braucht Ihr, um zum Beispiel Verletzungen zu heilen und die Lebensanzeige wieder zu füllen oder um Spezialangriffe auszuführen. Ein sehr cleveres Belohnungssystem.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Waffen, Meucheln und eine Frage der Ehre

Das Katana ist aber nicht eure einzige Waffe. Ihr könnt auch mit einem Dolch attackieren, Kunai-Wurfmesser schleudern, Rauch- oder Explosivbomben einsetzen oder mit dem Bogen Feuer-, Explosiv- oder herkömmliche Pfeile verschießen. Vieles davon bekommt ihr erst mit der Zeit.

Trefft ihr auf Feinde wie Mongolen oder Banditen – was relativ oft passiert – so habt ihr zwei Möglichkeiten: Ihr könnt sie in bester Samurai-Manier ehrenvoll zum Duell fordern (was wirklich cool aussieht) oder die Sache still und heimlich aus dem Hinterhalt erledigen. Jin befindet sich da in einem Konflikt. Schon als Kind hat er gelernt, dass ein Samurai kein feiger Meuchelmörder ist. So plagt ihn, der sich auch am Tod seines Vaters schuldig fühlt, den er als Kind tatenlos mit ansehen musste, anfangs noch sein Gewissen. Doch er muss lernen, dass der Zweck zuweilen die Mittel heiligt. Aus dem Dilemma hätten die Entwickler wesentlich mehr machen können. So aber ist es letzten Endes egal, ob wir als Samurai oder als Ghost unterwegs sind, auf den Ausgang der Geschichte hat das keinen Einfluss. Und mit der Zeit macht sich auch Jin keinen großen Kopf mehr deswegen.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Gewalt ist nicht alles

Nun sind Konflikte aber lange nicht alles in Ghost of Tsushima. Ähnlich wie in einschlägigen Ubisoft Games – aber besser als da – gibt es noch so einiges an Nebenbeschäftigungen, mit denen man sich herrlich die Zeit vertreiben kann. So können wir zum Beispiel heiße Quellen suchen, um darin zu baden, über das Leben nachzudenken – und um unsere Lebensleiste zu verlängern.

An speziellen Gestellen aus Bambusrohren können wir unser Geschick beweisen und mit dem Schwert sieben auf einen Streich zerschneiden, indem wir blitzschnell komplexe Tastenkombinationen ausführen. Und so unsere Kampfkraft stärken. Oder wir besuchen einen der gut versteckten und meist schwer erreichbaren Schreine, um zu beten – auch dafür gibt’s dann eine Belohnung, nämlich Talismane, die bestimmt Fähigkeiten von uns verstärken.  

Stoßen wir auf einen Fuchsbau und folgen dem Fuchs, führt der uns zu einer kleinen Gebetsstätte. Absolvieren wir genug davon, steigert das die Zahl der Talismane, die wir tragen können. Oder wir spielen ein wenig Flöte. Oder setzen uns einfach an einen besonders schönen Spot und dichten einen Haiku. Einfach nur so. Weil wir es können. Und weil es herrlich japanisch ist.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Der Wind hat mir ein Lied erzählt

All diese Points of Interest sind nicht einfach irgendwo auf der Karte verzeichnet. Nein, entweder führt uns ein goldener Vogel dorthin – den wir erst einmal entdecken müsse – oder der Wind führt uns dorthin. Denn so was wie blinkende Punkt auf dem HUD oder Richtungspfeile gibt es nicht. Wir streichen sachte über das Touchpad des Controllers und der Wind erhebt sich, lässt Grashalme und Äste sich biegen und treibt Blätter vor sich her. Und zeigt so die Richtung an. Das ist wunderbar stimmungsvoll und funktioniert richtig gut.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Herr Ober, könnte ich bitte eine Prise Rollenspiel haben

Ein bisschen Rollenspiel ist auch mit dabei. Für Erfolge gibt es Energiepunkte, mit denen wir wiederum kämpferische Skills verbessern, Behältnisse vergrößern oder neue Waffen und ähnliches frei schalten. Mit unterwegs gesammelten Rohstoff wie Bambus, Eibenholz, Nahrung, Eisen oder Blumen, können wir bei einschlägigen Handwerkern und Händlern unsere Waffen skillen oder die Ausrüstung personalisieren.

Hin und wieder sind besonders exklusive Waffen und Rüstungen wie etwa ein legendärer Bogen oder die übermächtige Kampftechnik „Der Himmelsschlag“ auch die Belohnung von speziellen Quests. Die wiederum mit der bebilderten Erzählung einer Sage beginnen.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Reisen, Klettern, Reiten

Ihr könnt aber auch einfach nur die Insel erkunden. Landschaftlich ist das japanische Postkarten-Idylle pur, so wunderschön, dass man die Bilder, die man massenweise im Fotomodus gemacht hat, allesamt ausdrucken und als Fototapete an die Wand nageln möchte. Orte, die wir schon einmal besucht haben, können wir dabei per Schnellreise erneut ansteuern. Ansonsten sind wir zu Fuß oder mit dem Pferd unterwegs.

Höher gelegene Ziele erreicht Jin durch akrobatische Kletterkünste. Das sieht zwar spektakulär aus, ist aber nicht weiter anspruchsvoll zu meistern. Und sollte Jin wirklich mal in den Abgrund stürzen, können wir verlustfrei am Ort des Absturzes wieder weitermachen.

(Copyright: Sucker Punch / Sony)

Haare in der Tofusuppe

Ein paar Haare in der Suppe gibt es dann aber doch. So irrlichtert die Kamera gerne mal wild durch die Gegend, während ich drei Gegner gleichzeitig am Lack habe. Die ich aber nicht sehe, weil die Kamera beschlossen hat, dass das Hausdach gegenüber viel interessanter ist. Oder so nah an mir dran klebt, dass ich nur meinen Rücken sehe,

Auch die Gegner-KI hat durchaus noch Luft nach oben. Während die in den Kämpfen durchaus planmäßig und organisiert agieren, sind sie bei der Suche nach mir nicht sonderlich motiviert und geben schnell wieder auf. So kann ich in ein Lager stürmen, drei Gegner erledigen und 50 Meter rausrennen. Prompt bleiben die stehen und haben keinen Bock auf Verfolgung. So kann man locker auch größere Gegnerscharen nach und nach dezimieren.

Und auch bei der Technik ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Landschaften – wie schon erwähnt: Wunderschön. Auch die Animationen, die Synchronisation, die Musik – alles Top. Die Innenräume von Häusern und Zelten dagegen (die sich alle recht ähnlich sehen) sind detailarm, zuweilen hässlich und sind fast immer identisch spartanisch eingerichtet. Und auch bei der Mimik sind die Japaner nicht unbedingt Weltmeister. Egal, der Gesamteindruck ist trotzdem schon ziemlich fantastisch.

Fazit

Das Kampfsystem ist Weltklasse, ebenso die vielen kleinen Geschichten und die Figuren mit Tiefe sowie  die stimmungsvolle, stilechte Alt-Japan-Atmo, die das Spiel gekonnt aufbaut. Sucker Punch ist es gelungen, das Game nicht zu überfrachten (hallo Ubisoft) und den Spieler durch immer neue kleine Geheimnisse, sinnvolle Verbesserungen und Überraschungen bei Laune zu halten. Das ist wie ein Samurai-Film zum Mitspielen. Wer mag, kann sogar den passenden Kurosawa-Filter über die Grafik legen. Mehr Samurai geht nicht.

Game: Ghost of Tsushima
Genre: Action Adventure
Release: 17.07.2020 (PS4)
Entwickler/Publisher: Sucker Punch / Sony
USK: ab 18
Sprachausgabe/Texte: Deutsch/Deutsch
Webseite: https://www.suckerpunch.com/category/games/ghost/
Wertung: 9 von 10