Flight Simulator 2020

2006 rollte der legendäre Flight Simulator von Microsoft das letzte Mal aus dem Hangar. Drei Jahre später kündigte Microsoft seine Partnerschaft mit Entwickler Aces auf, danach war Ruhe im Luftraum und in der Kabine und im Cockpit. Jetzt, 11 Jahre später, hebt der Flight Simulator endlich wieder ab. Mit einem neuen Entwicklerteam (nämlich Asobo aus Frankreich), mit mehr Städten, Flughäfen, Details und Realismus. Ist das jetzt nur ein (in Anführungsstrichen) Spiel für Simulatorfans oder haben auch weniger Flugaffine PC-Besitzer ihren Spaß daran, ohne ständig zu crashen oder zur Tüte greifen zu müssen?

Audio/Podcast zum Gamecheck:

Flugunterricht

Meine erste Flugstunde. Noch hat meine Fluglehrerin die Kontrolle über die Cessna 152. Und ich habe keinen Plan, was ich hier oben mache. Aber Cpt. Molina aka Jazz ist sich sicher, dass ich schon bald gar keinen Fluglehrer mehr brauchen werde. In acht (bitter notwendigen) Lektionen gibt es für mich Übungen zur grundlegenden Steuerung und zu den Instrumenten. Platzrunde, Geradeausflug, Navigation, Starten und (was deutlicher schwieriger ist) Landen – nach rund zwei Stunden beschließt Jazz, dass es nun höchste Zeit für einen Alleinflug sei. Den ich mit schweißnassen Händen lebend überstehe. Und auch wenn die Landung in meinen Augen (bzw. Ohren) auf der Piste von Sedona doch arg heftig ausgefallen ist, ist meine Fluglehrerin zufrieden mit mir.

Hilfe!

Derart gerüstet wage ich mich hinaus in die wunderbare Welt des Flight Simulators 2020. Allerdings nicht, ohne den Schwierigkeitsgrad erst einmal auf „Anfänger“ zu stellen. Wer da mehr Erfahrung hat und sich mehr zutraut, der kann den Realitätsgrad an unzähligen Stellschrauben bis ins letzte Detail anpassen. Dazu gibt’s dann während des Fluges auch noch zahlreiche Assistenten und Flughilfen, die von aufpoppenden Textfenstern mit den gerade geforderten Tasten über in der Luft eingeblendete Landetunnel am Zielflughafen bis hin zum Autopiloten reichen, der auf Knopfdruck das Ruder für euch übernimmt.

Die Welt ist zwei Millionen Gigabyte groß

Die Welt, in der wir fliegen (und die ich hier ganz bewusst nicht Spielewelt nenne) ist ein extrem realistisches Abbild unserer real existierenden Welt. Dazu hat Asobo die Satellitendaten der Bing-Suchmaschine genutzt; wollte man sich die alle auf den PC laden, bräuchte man dafür 2 Petabyte bzw. 2 Mio Gigabyte. Was natürlich nicht geht, weshalb der Flightsim den Teil der Welt, in dem ihr gerade fliegt, ständig aus dem Netz streamt. Wer nun nicht ständig mit dem Internet verbunden sein will oder kann, darf sich die betreffende Area auch vorab laden, die dann aber nicht ganz so detailliert aussieht. Und auch sonst muss man ohne Internetverbindung auf einige Extras und realistische Annehmlichkeiten verzichten – zum Beispiel auf das echte aktuelle Wetter vor Ort.         

Selbst der Luftverkehr um euch herum und der Straßenverkehr am Boden beruhen auf aktuell übermittelten Daten. Natürlich wird da nicht jedes Fahrzeug 1 zu 1 auf der Straße abgebildet, aber immerhin die Verkehrsdichte soll stimmen. So oder so: Es sieht in jedem Fall absolut fantastisch aus und trägt zum stimmigen Gesamtbild bei.

Insgesamt 37.000 Flughäfen, zwei Millionen Orte und 1,5 Milliarden Gebäude wurden im Flight Simulator abgebildet. Die größeren Flughäfen sind durch Satellitenfotos und Messungen vor Ort handgefertigt, die kleineren stimmen halt so ungefähr. Heißt: Die Gebäude stehen da, wo sie auch in Wirklichkeit stehen, sehen aber halt etwas anders aus. Gleiches gilt dann für die Ortschaften. Ihr werdet beim Flug über euer Haus vielleicht feststellen, dass es einen anderen Look hat, aber Höhe und Position stimmen. Meistens jedenfalls. Klar, dass es bei 1,5 Milliarden Gebäuden auch schon mal Fehler gibt, darüber sollte sich nun wirklich niemand beschweren.

Alle Wetter!

Das liefert das Schweizer Unternehmen Meteoblue, die den Flusi nicht nur mit Sonne oder Regen, sondern auch mit den aktuellen Daten zu Windgeschwindigkeit, Luftfeuchtigkeit, Druck, Temperatur, Niederschlag und vielem mehr versorgen. Mehr Wetterrealismus geht einfach nicht. Ihr könnt euch aber auch damit euer Wunschwetter stricken. Mal bei Gewitter durch die Berge oder im Schneesturm über Alaska? Kein Problem.

Die Kommunikation mit dem Tower läuft  – wie in Wirklichkeit auch – auf Englisch ab. Wer da nicht mitkommt, der kann sich die Funksprüche aber auch in einem PopUp-Fenster auf Deutsch anzeigen lassen.

Holiday Feeling

Und so mache ich mich also auf den Weg. Bzw. auf in die Luft. Sonst bin ich um diese Jahreszeit herum immer für einige Wochen in Florida am Golf von Mexiko. Also gleich mal im Tiefflug über meinen Lieblingsstrand, dann rüber zu unserem Ferienhaus, einen Abstecher nach Sanibel Island und eine Ehrenrunde über der Island Cow gedreht, wenn ich dieses Jahr dort schon nichts essen kann. Um dann am Ende noch mal für eine kleine Runde über die Keys. Dann mit einer Pipistrel Virus SW 21 – einem Ultra-Leichtflieger für 2 Personen – von Paderborn zum Segelflugplatz nach Höxter, meinem Geburtsort, um mal zu schauen, ob die Weser noch fließt, um dann – mutig geworden – einen Airbus A320 Neo am Abend noch eben in Echtzeit von Düsseldorf nach London zu fliegen, hinein in die untergehende Sonne.      

So könnt ihr wirklich jeden Punkt auf der Welt bereisen: Entweder, indem ihr den Flughafen eingebt oder auf die Weltkugel tippt. Ihr seht Ayers Rock oder die Pyramiden, fliegt im Tiefflug über den Amazonas oder den afrikanischen Regenwald, dreht eine Runde um den Eiffelturm oder um Kapstadts Tafelberg, folgt dem malerischen Mittelrhein, überquert die Rockies oder versucht euch an einem Sichtflug in der wunderschönen Einöde von Alaska.

Alles ist möglich, kein Ziel ist unerreichbar, und alles sieht wunderschön und echt aus. Da wird Fernweh gestillt und werden Reiseträume wahr – wenigstens ein kleines bisschen.

Versionen, Flieger und Flughäfen

Der Flight Simulator 2020 kommt in drei verschiedenen Versionen: Standard für 70 Euro (mit 20 Flugzeug-Modellen und 30 exakten Flugplätzen), die Deluxe-Ausgabe für 90 Euro mit 25 Fliegern und 35 Airports und die Premium Deluxe Version für 120 Euro mit 30 Maschinen und 40 genau nachgebildeten Flugplätzen.

Im Hangar stehen Propellermaschinen von Cessna oder Diamond, Ultraleichtflugzeuge wie die JBM-VL3, Kunstflugzeuge wie die die Pitts Special, Turboprops, Geschäftsreiseflugzeuge wie die Beechcraft King Air oder die Cessna Citation, mit der icon A5 auch eine Amphibienmaschine, mit der sich auch auf Wasser landen lässt sowie drei Verkehrsflugzeuge: Die Boeing 747 und die 787-10 sowie der Airbus A320 Neo Dreamliner – letzterer aber nur im Premium Deluxe Paket. In den nächsten Jahren wird da aber sicher noch so einiges als DLC hinzukommen.

Auch bei den Flugzeugen ist Realismus Trumpf. Sowohl das Äußere, aber vor allem auch die Cockpits sind perfekt bis zur letzten Schraube und bis zum letzten Instrument – die natürlich auch alle voll funktionsfähig sind und exakt so arbeiten wie ihren realen Vorbilder. Da könnte man sich glatt die Originalhandbücher herunterladen, um ihre Funktionsweise zu verstehen.

Am besten mit dem Flightstick       

Die Steuerung klappt natürlich am besten mit speziellen Flightstick. Mein etwas älterer Thrustmaster Hotas mit Schubregler wurde da problemlos erkannt und funktionierte auf Anhieb. Ja, es geht zur Not auch mit einem Gamepad oder sogar mit Maus und Tastatur – das aber ist dann eine ziemlich fricklige Angelegenheit. Wegen der Fülle an Tasten benötigt Ihr die Tastatur aber dann auch zusätzlich noch für einige Extrafunktionen, auch wenn ihr einen Flightstick in Betrieb habt – ganz ohne geht es also nicht.

Läuft immer. Nur wie?

Zweite wichtige Frage: Läuft das überhaupt auf meinem PC? Nun, laufen vermutlich schon, aber dann eben nicht mit allen Details. Selbst auf meinem Arbeitsrechner, wo gerade mal ein i5-6500-Prozessor und eine alte Radeon 280x, dafür aber viel Arbeitsspeicher und eine große SSD ticken – eben das, was ich fürs Musikmachen und Schreiben benötige – lief der Flusi noch in mittlerer Auflösung recht ordentlich und optisch ansprechend.

Die Framerate ist dabei auch von der Umgebung abhängig. Über der afrikanischen Savanne ist die natürlich ein ganzes Stück höher als vor der Skyline von New York. Und auch die Ladezeiten differieren, benötigen aber zu Beginn eines Fluges stets etwas Geduld – bis zu drei oder vier Minuten sind da keine Seltenheit. 

Was gibt es sonst?

Abseits der freien Flüge durch die Welt mit selbsterstellten Flugrouten gibt es derzeit noch eher wenig zu tun im Flight Simulator 2020. Zum einen sind da eine Handvoll stundenlanger Flüge durch die Wildnis, bei denen ihr euch nach Sicht orientieren müsst (ja, ihr dürft unterwegs speichern), zum anderen 24 schwierige Landungen auf besonders anspruchsvollen Flugplätzen, für die es je nach Erfolg Punkte und einen Eintrag in eine Hiscoreliste gibt.

Außerdem könnt ihr euch auch online mit Kumpels oder mit fremden Piloten zusammentun und den Luftraum gemeinsam erobern oder mal den Formationsflug proben. Freunde werden dabei auf eurer Weltkarte als Flugzeugsymbol markiert, zusammen mit ihrer Flugrichtung und Höhe.

Kleinere Bugs, DLCs und große Festplatten

So ganz fehlerlos war der Flight Simulator 2020 im Test noch nicht – hatte ich aber auch nicht erwartet, da ich meine Testversion nun schon fast eine Woche vor Release hatte, da wird es sicher in nächster Zeit noch einiges an Bugfixes geben. Neben einigen grafischen Fehlern und Bugs bei der Umsetzung von Satellitendaten in die Spielewelt – etwa, wenn statt einer Straße ein Fluss zu sehen war oder Autos die Rollbahn kreuzten – hatte auch der Autopilot gelegentliche Aussetzer und steuerte zum Beispiel in die entgegengesetzte Richtung. Aber das kommt noch.           

Überhaupt dürfen wir da noch einiges an Zusatz-Content erwarten. Nicht umsonst gehörten die Vorgänger des Flightsim zu den PC-Games mit den meisten DLCs, da konnte man locker einige tausend Euro zusätzlich für weitere Flughäfen, Szenarios und Maschinen versenken. Mindestens 10 Jahre will Microsoft den Flusi noch unterstützen – schafft euch schon mal Platz auf der Festplatte. Ende des Jahres soll übrigens auch eine VR-Unterstützung folgen.

Den braucht ihr schon jetzt: Satte 127 GB groß ist der Download, Microsoft empfiehlt 150 GB freizuhalten. Erst einmal. Und das am besten auf einer schnellen SSD und nicht irgendwo auf einer externen USB-Platte; das hilft, Ladezeiten und Ruckler zu minimieren.

Fazit   

Der Flight Simulator 2020 ist ein Meilenstein und gehört zu den faszinierendsten und motivierendsten PC-Spielen der letzten Jahre. Reinsetzen, losfliegen, die Welt entdecken. Und dafür müsst ihr kein gelernter Pilot sein, das geht immer. Der Realismus ist schlicht fantastisch, die offene Spielewelt mit den Original-Daten, dem dynamischen Wetter und mit ihrer Lebendigkeit das schönste und Beste, was es seit langem zu bestaunen gab. Wie ein US-Kollege ganz richtig schrieb: „Wenn Sie einen Geschmack auf den Himmel haben möchten, dann ist dieses Spiel eine virtuelle Perfektion.“ Recht hat er.

Game: Flight Simulator 2020
Genre: Simulation
Release: 18.08.2020
Entwickler/Publisher: Asobo /Microsoft
USK: ab 0
Sprachausgabe/Texte: Deutsch/Deutsch
Webseite: https://www.xbox.com/de-DE/games/microsoft-flight-simulator
Wertung: 10 von 10