Der Pate, Scarface, die Sopranos – es gibt viele gute Filme zum Thema Mafia in den USA. Das beste Spiel zu dem Thema stammt aus dem Jahr 2002: Mafia von Illusion Softworks. Zwar haben sich in der Folgezeit auch immer wieder andere Games mit der ehrenwerten Familie beschäftigt, an die Klasse von Mafia kamen die aber alle nicht ran. Jetzt, 18 Jahre später, gibt es ein Remake des Klassikers. Also kein Remaster oder Re-Release, sondern tatsächlich eine von Grund auf überarbeitete Version. Was immer die Gefahr birgt, dass der eigentliche Spirit eines Games verloren gehen kann, wenn man da nicht mit viel Feingefühl an die Sache geht – siehe Warcraft Reforged. Ist das hier der Fall? Was wurde geändert? Und ist Mafia noch genau so gut wie damals?
Fast wie früher. Aber nur fast.
Das Remake spielt – wie gewohnt – in den 1930er Jahren in der fiktiven Metropole Lost Heaven, die – natürlich – an Chicago erinnert. Und es beginnt mit dem vertrauten Kameraflug durch die Stadt, der an einer Hochbahnstation endet. Hier bemerken Kenner aber schon den ersten Unterschied: Während im Original Hauptakteur Tommy Angelo aus der Bahn tritt und rüber ins Diner geht, ist es im Remake Detective Norman, der sich zum im Diner wartenden Tommy begibt.
An der grundsätzlichen Story hat sich nichts geändert: Tommy Angelo trifft sich mit Detective Norman, weil er aus der Mafia aussteigen will. Anders als im Original tritt Tommy hier aber wesentlich weniger selbstbewusst auf. Keine Spur mehr von seiner mafiösen Großkotzigkeit. Er hat Angst um seine Familie. Stattdessen hat Detective Norman das Heft in der Hand.
So fängt Tommy an zu erzählen, wie aus einem einfachen Taxifahrer ein erfolgreiches Mafia-Mitglied wurde. Alles begann damit, als zwei Mafiosi auf der Flucht vor der Konkurrenz, vor Morellos Leuten, zu ihm ins Auto springen und ihn zwingen, ihnen zu helfen.
War die nachfolgende Flucht im Original noch eine recht lahme Angelegenheit, da man die Verfolger nach kürzester Zeit abgehängt hatte, gestalten die Entwickler von Hangar 13 die erste Actionszene wesentlich anspruchsvoller. Bis zum Schluss müsst ihr immer wieder mal durch eine Baustelle brettern – die auf der Minimap vermerkt sind (richtig, Minimap und nicht mehr nur Mini Radar) – wo die Konkurrenten in Cutscenes dann spektakulär crashen – sogar der Sprung über eine offene Zugbrücke gehört da mit zum Repertoire. Es vergeht einige Zeit, bis ihr endlich im Hauptquartier in Little Italy ankommt.
Von Schräubchen und Rädchen
Und eigentlich ist für Tommy der Mafia-Drops damit auch gelutscht. Dann aber lauern ihm Morellos Jungs auf. Sie verprügeln ihn nicht nur, sondern zerlegen auch sein Taxi. Er kann sich gerade noch zur Bar von Don Salieri retten. Und ist mächtig angepisst – er will Rache für sein Taxi. Kenner der Erstausgabe wissen nun sicher, dass es damals Don Salieri war, der Tommy auf Morellos Schläger hetzte – hier geht die Initiative von ihm selber aus. Und auch der anschließende kleine Rachefeldzug ist im Remake deutlich aufwendiger gestaltet: Knüppelte man damals einfach nur gefahrlos die Wagen kaputt, hat man es hier auch mit Morellos Leuten und später mit der Polizei zu tun.
All das soll verdeutlichen, an welchen Schrauben Hangar 13 für das Remake gedreht hat. An der Struktur und der Story wurde prinzipiell nichts geändert, dafür aber sehr wirkungsvoll an vielen kleinen und größeren Rädchen gedreht. Beispiel Dialoge: Die wurden nicht nur komplett neu aufgenommen, sondern auch umgeschrieben, erweitert und ergänzt. So erfährt man viel mehr über die Hintergründe und die vorkommenden Personen. Die einstmals zum Teil gähnend langen, schweigsamen Autofahrten wurden verkürzt und mit Unterhaltungen der Passagiere gewürzt. Wenn etwa Tommy mit einem sizilianischen Safeknacker unterwegs ist, der kein Englisch spricht und der Tommy fortwährend auf sizilianisch beschimpft, ist das schon großes Kino. Apropos Kino: Auch zahlreiche, teilweise auch recht spektakuläre Cutscenes sind neu hinzugekommen. Die tragen zum einen ebenfalls zum Verständnis bei, sind manchmal aber auch einfach nur so richtig gutes Effekt-Kino.
Allerlei kleine Neuerungen
Spaß macht auch die neue Bewegungsvielfalt von Tommy Angelo. Konnte der damals einfach nur rennen oder gehen (oder eben Auto fahren), so kann er jetzt auch schleichen und klettern. Was dann auch immer wieder schön ins Spiel eingebaut wird. Entkam er früher einfach Haken schlagend seinen Verfolgern, so muss er jetzt immer wieder mal Hindernisse überwinden, sich an Mauern hochziehen oder über Zäune klettern. Da ist deutlich mehr Abwechslung drin. Wie auch bei den Schießereien, wo Tommy nun auch hinter Objekten in Deckung gehen und sich herauslehnen kann, um die Gegner zu beschießen. Die ihrerseits dann bemüht sind, seine Deckung zu zerlegen oder ihn mit Granaten oder Mollies bewerfen.
Neues gibt es auch von der Straße zu berichten. Da könnt ihr jetzt nicht nur auch Motorräder steuern, nein, auch die Fahrzeugsteuerung selber wurde komplett neu gemacht, kein Vergleich zu dem Schwammgeschiebe des Originals. Da macht dann auch das spektakuläre Autorennen Laune, an dem man sich früher dem Herzinfarkt nahe die Zähne ausgebissen hat.
Mission mit viel Abwechslung
Autorennen in einem Mafia-Game? Ja, denn Mafia überrascht immer wieder mit ausgesucht ausgefallenen Missionen. Kein lahmes „Fahr nach A und schalte alle Gegner aus“ oder „liefere dies und jenes ans andere Ende der Stadt“. Nein, hier gibt’s zwar auch die zu erwartenden Schutzgeld Jobs, aber zum Beispiel auch einen Einbruch in die Villa eines Staatsanwaltes, Sabotage an einem Rennwagen, die Sprengung eines Bordells, die Übergabe von schwarzgebranntem Whisky in einem Parkhaus (die dann aus dem Ruder läuft), die Enttarnung eines Maulwurfs oder ein Rachefeldzug gegen die Jungs, die die Patentochter von Don Salieri belästigt haben.
Gewalt und Emotionen
Ja, es geht nicht gerade zimperlich zu in der ehrenwerten Familie. Was uns das Spiel auch immer wieder vor Augen hält. Da muss man manchmal schon schlucken und denkt sich „tu es nicht“ – aber Entscheidungsfreiheit gibt es hier nicht.
Durch die neuen Hintergrunddialoge, aber auch durch die jetzt feine Mimik der Charaktere wächst uns so manche Figur mit zunehmenden Spielverlauf so richtig ans Herz – auch wenn es alles Kriminelle sind. Der Don ist auf seine spezielle Art ein ehrenwerter Typ, seine Handlanger Pauli und Sam nicht die hellsten Kerzen im Leuchter, aber trotzdem irgendwie sympathisch. Und mit Ralphie, dem stotternden Mechaniker, der von Paulie ständig verarscht wird, leidet man am Ende mit und will ihm zurufen „Nun wehr dich doch mal“. Tommys Lovestory mit Sarah bringt dann auch noch die richtige Portion Schmelzschmalz ins Spiel, der in der Neuauflage noch schöner in Szene gesetzt ist als früher.
Oh wie schön ist Lost Heaven
Schöner in Szene gesetzt wurde jetzt auch die Stadt selber, die komplett neu aufgebaut wurde und unter anderem auch breitere Straßen bekommen hat, um den Fahrspaß zu erhöhen. In Acht nehmen muss man sich dabei allerdings immer noch vor den anderen Verkehrsteilnehmern, die ohne Rücksicht auf Verlust in Kreuzungen hineinbrettern und grundsätzlich von der rechten Spur aus links abbiegen und rüberziehen ohne sich umzudrehen. Fast so wie heutzutage in Berlin.
Und um diese Stadt zu erkunden, gibt’s nun auch zum einen eine ständig eingeblendete Minimap, auf der die Route eingezeichnet ist, zum anderen aber auch – und das finde ich mal richtig innovativ und genial – auch als Verkehrsschilder getarnte Richtungspfeile. Gerade bei den Highspeed-Verfolgungsjagden (wobei knapp 100 km/h mit den Autos der damaligen Zeit schon echt Highspeed war) ist das ein sehr komfortables Feature, das sich perfekt in die stimmige Spielewelt einfügt.
Überhaupt ist Lost Heaven ein echter Atmo-Traum. Classic Cars rollen über die Straßen, Passanten laufen bei Regen gebückt nach Schutz suchend von einem Hauseingang zum nächsten, die Hochbahn donnert über die Gleise, Wolkenbrüche verwandeln das Kopfsteinpflaster in eine Rutschbahn, ein Zeppelin schwebt hoch über den rauchenden Industrieanlagen, Zeitungsjungs verkünden historisch korrekte News und kommen wir aus einem Tunnel, werden wir schon mal so von der Sonne geblendet, dass wir sekundenlang im Blindflug unterwegs sind.
Einfach nur so durch die Stadt fahren könnt ihr übrigens auch im Freeride Mode, der nach Abschluss des ersten Kapitels geöffnet wird. Bei der Gelegenheit könnt ihr dann auch Sammelitems wie Comics, Zigarettenbildchen oder Postkarten sammeln. Oder Autos klauen. Oder euch einfach die Gegend anschauen, durch Villenvororte gleiten, die frühen Wolkenkratzer der Innenstadt bestaunen, euch in schmutzigen Industrievierteln Rennen mit Straßenbahnen liefern oder in Chinatown die chinesischen Bauten bewundern.
Neuer Sound und neue Schwierigkeitsgrade
Dass die Dialoge neu aufgenommen wurden, hatte ich schon erwähnt. Neu ist aber auch das stimmige Musikprogramm aus dem Radio, das neu eingespielt wurde und durch 35 weitere Tracks von Künstlern wie Duke Ellington ergänzt wurde. Da macht es bisweilen Spaß, einfach mal so durch die Stadt zu fahren und der Musik und den Moderatoren zu lauschen, die über Politik oder Sport Events berichten oder Werbung bringen
Die Entwickler haben der Mafia Definitive Edition vier Schwierigkeitsgrade mit auf den Weg gegeben. Neben leicht, mittel und schwer gibt’s da auch noch den Classic Mode, der der Originalversion nachempfunden ist, mit besonders tödlichen Gegnern und mit Munition, die beim Nachladen verloren geht. Bei den Fahrzeugen könnt ihr überdies getrennt davon entscheiden, ob ihr Arcade- oder Simulationsmäßig unterwegs sein und ob ihr selber schalten wollt.
Fazit
Da hat Hangar 13 einen tollen Job gemacht: An den richtigen Stellen ergänzt, geändert und erweitert, überflüssige Längen gestrichen, mehr Abwechslung eingebaut und technisch alles auf Vordermann gebracht. Und das alles, ohne den Spirit der Vorlage zu beschädigen und ohne große Experimente zu wagen. Tatsächlich ist das Remake sogar um Längen besser geworden als das Original – was spätestens dann klar wird, wenn man selbiges noch mal rausholt. Ja, in der Erinnerung verklärt sich so manches und früher war man auch deutlich anspruchsloser und dankbarer. So setzt die Mafia Definitive Edition neue Maßstäbe für ein Remake -die sollte wirklich jeder gespielt haben.
Game: Mafia Definitive Edition
Genre: Action Adventure
Release: 25.09.2020 (PC, PS4, Xbox One)
Entwickler/Publisher: Hangar 13 / 2K Games
USK: ab 18
Sprachausgabe/Texte: Deutsch/Deutsch
Webseite: https://mafiagame.com/de-DE/mafia/
Wertung: 9 von 10