Was zur Hölle ist hier passiert…fragt sich sicherlich so mancher Anleger beim Blick auf die Gamestop-Aktie. Gestern noch im Keller und heute ab durch die Decke und einer der heißesten Tipps auf dem Finanzmarkt. Was ist da los? Haben die ein unfehlbares Haarwuchsmittel patentiert? Als einzige eine fehlerfreie Version von Cyberpunk 2077 im Angebot? Nein, weder noch. Gamestop ist zum Spielball von zwei Gruppierungen auf dem Aktienmarkt geworden. Wer dahinter steckt und wie das alles funktioniert – das klären wir jetzt mal.
Dieser Text als Audio/Podcast:
Gamestop auf dem Weg nach unten
Die amerikanische Gamestop-Kette kennen ja vermutlich die meisten von Euch, die hat ja auch ihre Filialen in Deutschland -217 genau. Früher ist man da ja auch gerne mal hin, um seine alten Games zu vertickern und dann gleich was neues mitzunehmen. Einen ersten Dämpfer gab es dann 2016 für die Kette, als Gerüchte aufkamen, dass die Verkäufer die Kunden gezielt belügen und bescheißen würden und dabei vom Management noch bestärkt würden. Das wiederum die Mitarbeiter angeblich schikanierte und ungerecht behandelte. Wie gesagt: Gerüchte. Aber da war dann schon ein wenig der Lack ab, die Kunden begannen, Fragen zu stellen.
Wesentlich entscheidender aber für den Niedergang von Gamestop war die Tatsache, dass Games inzwischen hauptsächlich online gekauft wurden. Warum noch umständlich in die Stadt zum nächsten Laden fahren, wenn ich das neueste Game auch sofort haben kann, ohne mich aus meinem Gamersessel zu wälzen? Und während Plattformen wie Steam, GOG, Epic Store, Sony Play Store und wie sie alle heißen sich dumm und dämlich verdienten und die Zahlen für Onlineverkäufe stiegen und stiegen, stellte sich Gamestop stur und verkaufte weiter Games auf Scheibe – und machte keine Anstalten, sich da ebenfalls online zu positionieren. Gamestop wurde zum Auslaufmodell, es drohte dasselbe Schicksal wie einst den Videotheken.
Filialen wurden geschlossen, schlecht bezahlte, unzufriedene Mitarbeiter sorgten für einen sich stetig verschlechternden Service, die Kunden blieben weg – und das alles, während die Branche eigentlich wie blöd boomte. Die Umsätze brachen innerhalb von drei Jahren um 40% ein, Gamestop rutschte weit in die roten Zahlen; für 2020/21 rechnet man mit einem Nettoverlust von 140 Millionen Dollar. Das Ende schien also unausweichlich, an der Börse wurde Gamestop bereits Anfang 2020 als heißer Abschusskandidat gehandelt. Dann kam noch Corona dazu mit seinen Lockdowns und die Gamestop-Aktie stürzte ins Bodenlose, runter bis auf 2,57 Dollar.
Shortseller und Leerverkäufe
Das rief dann schon im letzten Jahr die Short Seller auf den Plan. Das sind Leute, die darauf spekulieren, dass Aktien an Wert verlieren und daran verdienen, oftmals stehen große Hedgefonds dahinter. Und das funktioniert so: Shortseller leihen sich bei anderen Investoren gegen eine Gebühr Aktien, verkaufen die direkt wieder, um sie dann, wenn der Kurs weiter gefallen ist, wieder für weniger Geld zurück zu kaufen. Leeraktien werden solche Aktien dann genannt. Ein Beispiel: Sagen wir mal, Du hast 10 Gamestop-Aktien, die jeweils 10 Dollar wert sind. Ich leihe mir die von Dir – also, Du übergibst mir für eine Weile die Eigentumsrechte daran – und ich gebe Dir dafür 10 Dollar obendrauf, also insgesamt 110 Dollar. Dann verkaufe ich die für 100 Dollar direkt am Markt und warte eine Weile ganz entspannt ab.
Und weil ich nicht der einzige bin, der das macht und viele Aktien in den Verkauf kommen, fällt der Kurs der Aktie – sagen wir auf 5 Dollar. Ich kaufe die 10 Aktien wieder zurück für insgesamt 50 Dollar und gebe sie dir wieder zurück. Abzüglich der Leihgebühr habe ich dann 40 Dollar Gewinn gemacht, ohne groß was dabei tun zu müssen. Ja, ich weiß, liebe Börsianer, ein bisschen komplizierter ist das schon noch, aber im Prinzip ist es das, was Shortseller machen. Nur dass die jetzt nicht 10, sondern 10.000 Aktien oder mehr kaufen. Und so in kurzer Zeit verdammt viel Kohle machen. Wenn – ja, wenn die Kurse denn auch tatsächlich fallen.
Erste Warnsignale werden ignoriert
Ein erstes Warnsignal für die Shortseller gab es im September 2020, als Investor Ryan Cohen mit 13 Prozent bei Gamestop einstieg, der viel Erfahrung im E-Commerce-Bereich mitbrachte, Anfang Januar dann einen Sitz im Aufsichtsgremium übernahm und ankündigte, Gamestop retten zu wollen. Woraufhin sich der Kurs der Gamestop-Aktie wieder etwas erholte und wieder mehr Aktien gekauft wurden – auch von Cohen selber. Doch die Shortseller bekamen den Hals einfach nicht voll, machten munter weiter und wollten einfach nicht auf die Alarmzeichen hören.
Sie liehen immer mehr Aktien mit dem Börsenticker-Kürzel GME aus, verkauften, und kauften wieder zurück. Am Ende waren mehr Leeraktien unterwegs als Gamestop an Aktien herausgegeben hatte, die Leerverkaufsquote lag bei fetten 142 Prozent, weil verkaufte Leeraktien erneut weiter verliehen wurden. Nun kann sich ja jeder ausrechnen, dass eine derartige Blase irgendwann platzen muss. Schon deshalb, weil die Shortseller die Aktien ja auch wieder zurückkaufen müssen, und wo viel gekauft wird, steigen auch die Kurse wieder. Was die Shortseller dann dazu treibt, noch schneller zurückzukaufen, um die Verluste zu begrenzen. Die Nachfrage nach der Aktie steigt und damit auch die Preise.
Robin Hood – Der Rächer und Beschützer von Witwen und Waisen
Bis zu der Stelle rangiert das alles noch unter „dumm gelaufen“, noch hielten sich die Verluste – trotz des drohenden Platzens der Blase – in Grenzen. Auch wenn der CNBC-Moderator Jim Cramer da warnte: Wer eine Aktie mit einer derartigen Leerverkaufsquote noch shortet, sei ein Trottel.
Dann aber kam der Punkt „where the shit hits the fan“, wie es im amerikanischen heißt. Inzwischen nämlich war das Reddit-Forum „WallStreetBets“ auf die hohen Leerverkäufe bei Gamestop aufmerksam geworden. Dort handeln rund 2,5 Millionen meist jüngere User mehr Just for Fun mit Aktien und Optionen und nutzen dabei die kunterbunte populäre Trading App Robinhood. Den Hobby-Händlern waren Shortseller – also Leute, die am Unglück anderer verdienen – schon immer ein Dorn im Auge. Antrieb ihres Forums war schon von jeher der Kampf gegen die etablierten Börsenhändler im Geist von Occupy Wall Street. Und so verabredete man sich, massenweise Gamestop-Aktien aufzukaufen. Jeder nur ein paar, aber in der Summe schon deutlich spürbar.
Nun gerieten die Shortseller unter Druck, die ja ihre Leeraktien zurückkaufen mussten. Nur waren plötzlich kaum noch Gamestop-Aktien am Markt erhältlich, was den Kurs nach oben schießen ließ. Short Squeeze nennt man die Angebotsknappheit eines Wertpapiers, das zuvor in großer Anzahl leer verkauft wurde. Bekanntes Beispiel für einen Short Squeeze lieferte Volkswagen 2008. Und genau vor diesem Short Squeeze standen nun die Shortseller.
Und dann noch Elon Musk!
Befeuert wurde das Ganze noch durch einen Tweet von Elon Musk, der aus naheliegenden Gründen kein großer Freund der Shortseller ist. Der verlinkte mit ein paar Seitenhieben auf die Shortseller auf die Aktion der WallStreetBets, was weitere Käufer anlockte. Zeitweise kletterte der Gamestop-Kurs am Donnerstag, den 28. Januar daraufhin zeitweise auf über 400 Dollar, stürzte später aber wieder ab (weil der Handel mit den Aktien zwischenzeitlich eingestellt worden war) und pendelte sich am Ende bei etwa 230 Dollar ein. Plötzlich war der vermeintliche Pleitekandidat Gamestop auf dem Papier über 20 Mrd. Euro wert und einige Hedgefonds in argen finanziellen Nöten. So musste sich Melvin Capital bei Investmentfirmen angeblich auf die Schnelle 2,75 Milliarden Dollar leihen, um nicht zu crashen.
Warten auf den großen Knall
Da Gamestop derzeit aber hoffnungslos überbewertet ist und die Aktien derzeit nur Zockerpapiere sind, ist der große Knall wohl nur eine Frage der Zeit. Wer glaubt, da jetzt noch aufspringen zu müssen, sei gewarnt. Zudem hat die US-Investmentfirma Susquehanna International bereits im letzten Jahr 6,4 Prozent an Gamestop-Anteilen billig gekauft und könnte die vielleicht bald abstoßen, um den Gewinn mitzunehmen – genau wie der Fondsgigant Blackrock, der 13 Prozent Anteile hält. Und dann sind plötzlich wieder viele Gamestop-Aktien am Markt und der Kurs wird abstürzen. So oder so – der Knall wird sicher kommen.
Zukünftig dürften es solche Aktionen auch schwer haben. Sowohl die US-Börsenaufsicht SEC als auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin haben jetzt erklärt, den Fall Gamestop auf verbotene Absprachen mit konkreten Manipulationsaussichten hin untersuchen zu wollen. Erste Politiker in den USA fordern auch, derartige Hedgefonds und Leerkäufe stärker zu regulieren. Steckt eure Kohle also lieber in gute Videogames. Ihr müsst die ja nicht bei Gamestop kaufen.