Zu den Olympischen Sommerspielen gibt es natürlich auch das offizielle Videospiel. Das überraschenderweise „Olympische Spiele Tokyo 2020 – Das offizielle Videospiel“ heißt. Das aber eigentlich – und damit wären wir beim nächsten komischen Fun-Fact – gar nicht neu ist, sondern schon vor zwei Jahren erschienen war, allerdings nur in Japan. Für den Rest der Welt ist das aber erst jetzt erhältlich. Und wie immer bei Games zu sportlichen Super-Events stellt sich die Frage: Kann das was oder ist das nur Merchandise-Crap, der mit einem großen Namen etwas Kohle mitnehmen will. Ja, kann es vielleicht sogar dem beste Sportspiel aller Zeiten, den Epyx Summer Games von 1984 für den C64 das Wasser reichen? Das bekommen wir nur heraus, wenn wir uns das Spiel mal genauer unter die Lupe nehmen. Was ich übrigens auf der Switch gemacht habe. Los geht’s.
Audio/Podcast zum Gamecheck:
Tōkyō orinpikku 2020
Das ist Japanisch und bedeutet „Olympische Spiele Tokyo 2020“. Das ist aber nicht nur Japanisch, sondern auch komisch. Zum einen, weil wir ja jetzt schon 2021 haben, die Olympischen Sommerspiele aber trotzdem 2020 heißen, weil die ja letztes Jahr pandemiebedingt ausgefallen sind. Ihr erinnert Euch vielleicht. Zum anderen ist es komisch, weil die Idee, angesichts der grassierenden Covid-Mutanten eine Sportgroßveranstaltung in einem Land abzuhalten, in dem gerade mal 11 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen Covid geimpft sind, vielleicht nicht die beste ist. Auch wenn ausländische Fans inzwischen wieder ausgeladen worden waren. Egal, das IOC zieht das jetzt wohl durch, auch wenn drei Viertel der Bevölkerung dagegen sind.
What? Nur 18 Disziplinen?
„Olympische Spiele Tokyo 2020 – Das offizielle Videospiel“ – oder „Toyko 2020“, wie ich es ab sofort kurz und prägnant nennen werde – kommt mit 18 Disziplinen im Gepäck. Was ja nun doch recht dünn ist, wenn man sich mal die früheren offiziellen olympischen Videogames anschaut: Peking 2008 hatte da 26, London 2012 sogar 46. Aber Zahlen sind ja nicht alles (sag das mal den Leuten Im Finanzamt). Denn London 2012 kam da zum Beispiel in der Leichtathletik mit 100, 200, 400 Meter und 110 Meter Hürden oder im Schwimmen mit 50 Meter Freistil und 100m Brust, Rücken oder Schmetterling. Heißt: Viele Disziplinen, aber wenig Abwechslung. Macht es Tokio 2020 da besser? Na, dann kommt mal mit, wir besuchen mal einige der Events.
Fünf Mannschaftssportarten
Unsere erste Station ist das Baseball-Stadion. Wo ich dann gleich mal gestehen muss, dass ich davon extrem wenig verstehe. Schau ich mir gerne mal an, wenn ich in den USA bin, aber wirklich kapiert habe ich es nie. Daher kann ich auch mit Begriffen wie 4–Seamer, 2-Seamer, Change-Up, Curveball oder Splitter wenig anfangen, die mir das Game um die Ohren haut. Die ersten Hinweise im Übungsmodus helfen da auch nicht allzu viel; später aber gibt es weitere Tipps. Auch wenn das hier auf das Notwendigste runtergebrochen und extrem verkürzt ist und Baseball-Newbies wie mich überfordert, ist das mal was anderes. Weiter geht’s.
Basketball in einem Olympiaspiel – das ist auch eher ungewöhnlich. Aber die Umsetzung ist gar nicht mal soooo schlecht. Würfe aufladen und zum Dreier ansetzen, ein bisschen Tackling – natürlich kein Vergleich zu Simulations-Spezialisten, aber doch grundsolide.
Und wo wir gerade bei den Mannschaftssportarten sind: Auch das 7er Rugby ist vertreten. Ist ganz witzig gemacht, ich fands aber nicht so prickelnd. Zumindest im normalen Schwierigkeitsmodus erreicht man locker die Grundlinie, auch sind die Tacklings viel zu leicht, da haut man den ballführenden Gegner im Sekundentakt um. Zu zweit ist das aber eine lustige Sache. Mehr Spaß hatte ich da beim Beach-Volleyball. Baggern, Pritschen, Schmettern – das läuft schön rund und easy, auch wenn es keine Möglichkeit zum Blocken am Netz gibt. Summer Feeling!
Die letzte Mannschaftssportart ist die völlig überbewertete Randsportart Fußball. Und auch hier gilt: Erwartet da kein Fifa oder Pro Evo. Passen, Schießen und Grätschen, mehr ist da nicht. Keine Dribblings oder Flanken, nicht mal die Spieler lassen sich durchschalten – das Game wechselt automatisch zum ballnächsten. Meistens jedenfalls. Zu zweit noch ok, alleine eher lame.
5x Leichtathletik
Habt ihr mitgezählt? Das waren jetzt fünf Disziplinen, bleiben noch 13. Machen wir weiter mit der Leichtathletik. Da gibt’s zum einen die Laufwettbewerbe 100 m, 400 m Staffel und 110 m Hürden. Was durchaus einiges an Timing und Fingerfertigkeit erfordert, um da die notwendigen Zeiten fürs Finale zu erreichen. Für ein paar Sekunden ein schöner Nervenkitzel.
Dazu kommen dann noch die beiden technischen Disziplinen Weitsprung und Hammerwerfen. Auch hier ist Geschick und Gefühl gefragt. Absprungwinkel, Anlaufgeschwindigkeit und Entfernung zum Balken beim Weitsprung, die richtige runde Drehbewegung und dann den richtigen Augenblick beim Abwurf erwischen beim Hammerwerfen – das macht Laune. Hier hätte das Game auch noch die fast identischen Diskus und Dreisprung mit draufpacken können, hat aber leider darauf verzichtet.
Wasser und (Tisch)tennis
So, Leichtathletik ist damit auch schon abgehakt, wir sind jetzt bei 10 Disziplinen. Zwei weitere liefert das Schwimmen, nämlich die 100 m Freistil und die 200 Meter Lagen. Hier müsst ihr mit euren Kräften haushalten, ordentlich starten und beschleunigen, die Wenden gut erwischen und die unterschiedlichen Schwimmstile mit dem Controller sauber umsetzen. Gar nicht übel.
12 haben wir, 6 fehlen noch. Zum Beispiel die beiden Kampfsportarten Boxen und Judo. Während das erste – trotz unterschiedlicher Schlagtechniken – schnell in ein wüstes Gekloppe ausartet, müsst ihr beim Judo immerhin noch den Gegner am Kragen oder Ärmel zerren und den richtig Punkt für einen Wurf erwischen. Was ja irgendwie ganz realistisch ist, aber auch in der Realität finde ich Judo ziemlich lahm – zumindest als Zuschauer. Nee, die beiden Disziplinen hätten nicht unbedingt sein müssen.
Viel unterhaltsamer fand ich da schon Tennis und Tischtennis. Da entscheiden auch Stellung und Schlagdauer, auch könnt ihr die Schläge recht präzise mit dem rechten Stick kontrollieren. Gerade zu zweit sind da längere, spannende Ballwechsel drin.
Die Exoten: BMX und Klettern
Fehlen noch zwei. Und beide sind eher seltene Kandidaten in Sportspielen. Beim BMX-Rennen sind Steuerkünste gefragt, um in den engen Turns nicht rauszufliegen. Außerdem könnt ihr bei Sprüngen und Rails ein paar nette Stunts hinlegen.
Das Sportklettern schließlich erinnert ein wenig an die Jump & Run-Passagen von Lara Croft – Richtung bestimmen und im richtigen Augenblick den richtigen Knopf drücken, und das möglichst schnell. Was genauso spannend ist wie es sich anhört.
Auf nach Arcade-City
Grundsätzlich geht die bunte Auswahl an Sportarten und Disziplinen in Ordnung, da steckt viel Abwechslung drin. Es hätte aber auch gern noch etwas mehr sein dürfen. Vermisst habe ich zum Beispiel Sachen wie Schießen, Turmspringen, Gewichtheben, Reiten, Turnen und auch gerne noch etwas mehr Leichtathletik.
Simulationsfans sind hier eh komplett falsch, der Olympiazug fährt hier stramm Richtung Arcade-City. Was aber völlig ok ist, so kann man auch Nichtgamer schnell mal zum Mitspielen überreden. Was mich zu den Spielmodi bringt.
Unmotivierte Solisten
Da gibt’s einen Übungsmodus, dazu Solo- und Mehrspieler-Wettkämpfe, sowohl online als auch Sofa. Ihr könnt in voreingestellten Disziplin-Gruppen in Quali, Halbfinale und Finale um Medaillen kämpfen oder euch selber eure eigenen Olympischen Spiele zusammenstellen. Was aber komplett fehlt, ist ein wie auch immer gearteter Karrieremodus, der auch Solisten motiviert, das Game öfter mal zu starten.
Da bleiben dann nur die Ranglisten als Ansporn, oder die Möglichkeit, mit euren EPs verrückt-alberne Outfits zu kaufen. Klar, anfangs ist das witzig, als Astronaut, Ninja-Clown oder im Sonic-Kostüm über die Tartanbahn zu wetzen, aber das nutzt sich schnell ab. Was mir definitiv auch fehlt, ist das Olympische Brimborium drumherum, inklusive Eröffnungsfeier und so weiter. Das gehört doch einfach dazu, selbst die Epyx Summer Games auf dem seligen 64er hatten das. Da will einfach keine rechte Olympia-Stimmung aufkommen.
Technik und Steuerung
Der bunte, bewusst unrealistische Comiclook des Games ist Geschmackssache, so was mag man oder eben auch nicht. Bisher habe ich keine Möglichkeit gefunden, den Sound nach meinen Vorstellungen einzustellen. Zum Beispiel die zuweilen nervig eintönige Musik auf der Switch mal abzuschalten oder wenigstens leiser zu machen. Vielleicht hab ich das nur übersehen. Ich fürchte aber – nein, habe ich nicht. Weniger Geschmackssache ist die manchmal etwas störrische und unpräzise Steuerung, die in manchen Disziplinen einen Ticken zu spät zu reagieren scheint, was das Gameplay etwas holprig macht. Und auch die sinnlos verschachtelten und unübersichtlichen Menüs hätte Sega besser hinbekommen müssen.
Fazit
Das Angebot an Disziplinen ist durchaus abwechslungsreich und zum Teil innovativ umgesetzt, aber doch etwas mager, der olympische Spirit ist mangels Drumherum eher ein laues Lüftchen. Für Solo-Spieler fehlen die Anreize, da länger dabei zu bleiben, im Multiplayer aber können die Olympischen Spiele Tokyo 2020 durchaus Laune machen. Ich werde es wohl ab und zu für eine kurze Session immer mal wieder rauskramen. Im Wechsel mit „Mario und Sonic bei den Olympischen Spielen Tokyo 2020“.
Game: Olympische Spiele Tokio 2020
Genre: Sportspiel
Release: 22.06.2021
Entwickler/Publisher: Sega
USK: ab 6
Sprachausgabe/Texte: Deutsch / Deutsch
Webseite: https://www.olympicvideogames.com/tokyo2020/de/
Wertung: 6 von 10