Audio/Podcast zum Gamecheck:
Der Sommer 2019 war bei uns – nach 2003 und 2018 – der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen 1881, der Juli sogar weltweit der heißeste Monat aller Zeiten. Und damit ein kleiner Vorgeschmack auf das was kommen wird, wenn wir umwelttechnisch nicht langsam mal in die Pötte kommen. Aber das nur nebenbei. Was ich eigentlich sagen wollte: Es war im Juli im Grunde auch viel zu heiß zum Zocken. Die Lüfter von Konsolen und PCs kämpften vergeblich gegen die Hitzewallungen und bliesen den Gamern weitere Heißluft um die fiebrigen Ohren. Da griffen dann nur die ganz Harten zum Controller. Hatten die wenigstens einen guten Grund dazu? Wurden sie mit spielerischen Highlights belohnt? War es auch für die Gamer ein Jahrhundertsommer oder hagelte es Flops?
Fire Emblem: Three Houses (Copyright: Koei Tecmo)
Die Tops im Juli: Drei Häuser und Drachen
Bei der Hitze passte es gut, dass das beste Game im Juli eines für die Switch war – da konnte man das Rundenstrategiespiel Fire Emblem: Three Houses immerhin mit ins Freibad nehmen. Das heißt Three Houses, weil ihr als Lehrer in einem Klosterinternat eines der drei Häuser Adler, Löwen oder Hirsche leitet. Ihr schickt eure Schüler in rundenbasierte Taktikschlachten, spielt mit der Zeit, bildet eure Schüler aus und motiviert sie, etwa mit Chorsingen oder gemeinsamen Essen. Das ist am Ende zuweilen too much Sozialkram, aber dafür belohnt es mit einer tollen Story und guter Rundenstrategie.
Ebenfalls für die Switch – aber auch für die PS4 – gab es im Juli das Action-RPG Dragon Quest Builders 2. Das Game kombinierte Bauen und Crafting wie in Minecraft oder Harvest Moon mit einer umfangreichen Story-Kampagne mit zahllosen Quests und Kämpfen. Der Nachfolger des ebenfalls schon guten Erstlings überzeugte mit mehr Ideen, mehr Umfang und mehr Story.
Sea of Solitude (Copyright: Electronic Arts)
Kein Hit, aber wichtig: Sea of Solitude
Kein Hit, aber doch wichtig war im Juli auch der Jump & Run/Adventure-Mix Sea of Solitude. Das Game visualisierte Themen wie Angst, Schuldgefühle, Trauer, Verlust und Depressionen. Dass es dabei zuweilen zu viel redete und spielerisch etwas schwach auf der Brust war, sei ihm verziehen. Absicht, Atmo und auch vieles an Umsetzung stimmen jedenfalls.
Wolfenstein: Youngblood (Copyright: Bethesda)
Die Flops und kleinen Enttäuschungen: 2x Wolfenstein und große Autos
Nicht völlig überzeugen konnte dagegen der Ego-Shooter Wolfenstein Youngblood. Statt des Helden vom Dienst, BJ Blaskowicz, müssen hier seine Zwillingstöchter ran, was erstmals auch im Koop funktionierte. Die Action macht immer noch Laune, vor allem zu zweit, und auch die offenere Spielewelt gefiel. Etwas mehr Story und etwas weniger belanglose Nebenmissionen und bessere Rücksetzpunkte wären aber schön gewesen. Für zwischendurch ok, mehr aber leider nicht.
Noch einmal Wolfenstein, aber dieses Mal in der Abteilung „Enttäuschungen im Juli“: Wolfenstein: Cyberpilot war Bethesdas lobenswerter Versuch, den Kultshooter mal auf VR-Füße zu stellen. Die Prämisse, als Hacker des Widerstandes die Kampfmaschinen der Nazi-Gegner in Paris zu übernehmen, klang zwar originell, war aber spielerisch viel zu dünn und abwechslungsarm – und vor allem auch viel zu kurz. Nach gerade mal anderthalb Stunden war man auch schon wieder durch.
Ebenfalls enttäuschend im Juli: Die FIA European Truck Racing Championship – mit spröder Karriere, zähen Rennwochenenden, merkwürdigem Strafensystem und fehlender Speicheroption in eigenen Meisterschaften und Everybodys Golf VR, das zwar beim Schlagen gut funktioniert, mangels Karriere oder Gegnern und mit technischen Macken aber kaum Spaß macht.
Harveys neue Augen (Copyright: Daedalic)
Die Highlights im August: Viel Retro, astrale Ketten und Kontrolle
Und der war ja wohl mal ein echter Retro-Monat! Warum? Weil zum Beispiel Blizzard seine alten WoW Classic-Server wieder anschmiss, auf denen die Mutter aller MMORPGs auf dem Stand des Patches 1.12 gespielt werden konnte. 15 Jahre nach dem ersten Start war das eine heftige Zeitreise zurück zu den Anfängen. Ja, die Grafik ist inzwischen grottig, die Laufwege zu lang, die Quests oft simpelst – aber Azeroth steckt aber voller schöner Erinnerungen. Und mit den alten Kumpels an der Seite fühlt man sich gleich wieder 15 Jahre jünger.
Und auch das Adventure Harveys neue Augen gehört klar in die Zeitreiseecke. Acht Jahre nach dem Release der PC-Version konnte sich Daedalic endlich zu der längst überfälligen Konsolenversion inklusive Switch durchringen. Dabei haben die verrückten Abenteuer der gar nicht so braven Klosterschülerin aka Psychopathin Lilli – übrigens vorgetragen vom genialen Erzähler Götz Otto – nichts von ihrer einstigen Faszination verloren. Dieser völlig abgedrehte Adventure-Trip bietet auch heute noch allerfeinste, intelligente Unterhaltung. Und wohl als einziger auch ein Roboter-Opossum. Oder auch nicht.
Spielerisches Highlight im August war aber für mich ganz klar Astral Chain, das die Bayonetta/Nier-Automata-Macher Platinum Games Ende August für die Switch raushauten. Super Kampfsystem, eine technische Umsetzung vom Feinsten, die Story ambitioniert aber mit kleinen erzählerischen Löchern, gekonnte Tempowechsel und massig Upgrade-Möglichkeiten und Missionen: Das alles macht Astral Chain zu einem der besten Action-Adventure auf der Switch. Daran konnten auch der stumme Held, der vermurkste Koop und die zickige Kamera nichts ändern.
Auch noch gut im August: Das Mystery-Horror-Action-Adventure Control von Remedy – genau, das sind die von Alan Wake, Max Payne und Quantum Break. Es dauerte zwar eine Weile, bis man mit Control warm wurde – diverse kleine Technik- und Designmacken machten es da nicht leicht. Wenn man aber erstmal drin war, machte Control richtig Laune. Action und Kampfsystem waren wunderbar, die Mystery-Horror-Story gut, anspruchsvoll und ungewöhnlich – wenn man sich die Mühe macht, die Hintergründe zu verstehen. Typisch Remedy eben.
Blair Witch (Copyright: Bloober Team)
Die Lowlights im August: Blanker Horror
Nicht so fluffig dagegen im August: Das Grusel-Abenteuer Blair Witch, weil es neben dem Horror das Spiel vergaß und The Dark Pictures: Man of Medan, dessen Horror in erster Linie aus heftigen technischen Problemen und erzählerischen Schwächen bestand.
Borderlands 3 (Copyright: 2K Games)
Die Highlights im September: Mehr als man aufzählen kann
Und damit zum September, dem Wonnemonat für Gamer, weil für gewöhnlich der Beginn der vorweihnachtlichen Blockbuster-Zeit. Und tatsächlich: Ich weiß gar nicht, wo ich da anfangen soll. Vielleicht beim Remake von Zelda: Links Awakening für die Switch? Das auch nach 26 Jahren einfach nicht gealtert war. Trotz nicht mehr ganz frischem Spieldesign immer noch wunderschön.
Oder bei Borderlands 3. Das zwar keine Innovationen im Gepäck hatte, aber dafür verrücktere Waffen, noch mehr Action, noch mehr blöde Sprüche, noch mehr Gegner, noch mehr überzogene Gewalt – das alles verbunden mit einigen Detailverbesserungen. Das musste man einfach mögen.
Oder doch lieber mit Gears 5, das ich ja für den besten Teil der Reihe halte. Die Story ist deutlich komplexer geworden, der dezente Open World-Aspekt gefällt mir gut, es gab mehr Abwechslung als sonst, die Action war genial brachial wie immer und die Inszenierung einfach fantastisch. Einige Neuerungen hätten zwar noch etwas Feinschliff vertragen können, aber ansonsten war einfach alles tacko.
Und dann waren da ja auch noch die beiden jährlichen Neuauflagen der Kicker-Simulationen Fifa und Pro Evo. Mein ganz persönliches Fazit war da: Pro Evo macht auf dem Platz immer noch die bessere Figur, Fifa aber mit dem neuen Karrieremodus, der Hallenkickerei und dem fetten Lizenzpaket einfach mehr Spaß. Mir zumindest.
Ich könnte aber auch mit Telling Lies beginnen, dem zweiten interaktiven Realfilm-Adventure von Sam Barlow, in dem wir als Journalist mit Hilfe von 170 privaten Videoschnipseln einen zwielichtigen FBI-Agenten überführen mussten. Whistleblower meets Voyeur, das war packend, emotional, realistisch und mal was ganz anderes, inszeniert mit klasse Schauspielern und guten Dialogen.
Ja, der September hätte eigentlich einen eigenen Podcast bekommen müssen. Da gab es ja auch noch The Surge 2, Dragon Quest 11 Definitive Edition, Ni No Kuni Remastered, Greedfall, Monster Hunter World: Iceborne oder Catherine Full Body. Alles Games, die hier eine ausführliche Erläuterung verdient hätten statt nur lobend erwähnt zu werden. Sorry dafür.
Mario Kart Tour (Copyright: Nintendo)
Nicht so überzeugend im September
Gab es in diesem Überflieger-Monat denn überhaupt auch schwächere Games? Ja, einige. GRID Autosport für die Switch zum Beispiel. Oder das dröge Contra: Rogue Corps mit seinen merkwürdigen Design-Entscheidungen. Oder das storylose Dauergeballer von Daemon X Machina. Ja, und auch die mobile Mario Kart Tour, die anfangs zwar Spaß macht, in der man später aber nur noch mit Echtgeld-Einsatz weiterkommt – oder mit dem endlosen Abfahren der immer gleichen Kurse.
Aber über all das konnten wir locker hinwegsehen, war der September doch ansonsten bis dahin der beste Gamer-Monat 2019. Ob da das letzte Quartal noch einen drauf packen konnte – das erfahrt Ihr im nächsten Podcast.