Sea of Solitude

(Copyright: Jo-Mei Games)

Audio/Podcast zum Gamecheck:

Schon vor fünf, sechs Jahren haben sich Games wie Dear Esther, The Cat Lady oder Depression abseits der üblichen Themenpfade bewegt und sich mit so schwierigen Themen wie Depression und Ängsten auseinandergesetzt. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Nun wagt sich mit Sea of Solitude vom Berliner Entwicklerstudio Jo-Mei ein weiteres Spiel in dieses unwegsame Gelände. Nach Fe, A Way Out und Unravel übrigens das vierte Independent-Game, das über EA-Originals veröffentlicht wird. Aber auch ähnlich erfolgreich wie diese?

(Copyright: Jo-Mei Games)

Das Schattenmädchen und das Meer

„Wo bin ich? Die Stadt sieht so echt aus“ – stellt die Protagonistin Kay fest, als sie in einem kleinen Motorboot in dunkler Nacht erwacht. Unter der Wasseroberfläche zeichnen sich die Umrisse von Häusern, ja einer ganzen Stadt ab. „Woher kommt das Wasser? Und wo sind all die Menschen?“ …fragt sie sich dann auch zu Recht.

Kay sieht nicht aus wie ein normales Mädchen. Eher wie eine pelzige, schwarze, schattenhafte Kreatur mit rot leuchtenden Augen. „Ich bin ein Monster“ – bemerkt sie unglücklich. Dann aber entdeckt sie in der Dunkelheit ein Licht und steuert ihren kleinen Kahn darauf zu – und sieht eine leuchtende schwebende Gestalt, ein Mädchen, das nur aus Licht zu bestehen scheint. „Du bist sicher“ – sagt sie. Und der Wasserspiegel sinkt, Dächer und die oberen Stockwerke der Häuser werden sichtbar, die Sonne geht auf. Und das ist noch nicht alles: Kay bekommt auch eine Leuchtpistole überreicht.

Aber was soll Kay damit bei strahlenden Sonnenschein? Nun, das merkt sie dann nur Sekunden später. Urplötzlich verdunkelt sich der Himmel wieder, das Lichtmädchen verschwindet, ein gewaltiges Monster hebt sich aus dem Wasser und beginnt sie übel zu beschimpfen. Kay sei ein „wertloser Haufen Scheiße, die nicht wisse, was sie da mache – wie immer“ – und nennt sie dabei beim Namen.

(Copyright: Jo-Mei Games)

Alles ist anders. Und düster. Aber nicht immer.

So weit, so vertraut. Monster, Dunkelheit und ein schutzloses, etwas merkwürdiges Mädchen in fremder Umgebung: Das hört sich doch nach einem weiteren recht normalen Action-Adventure an, bei dem die Heldin da nur irgendwie rauskommen muss.

Aber dann ist doch alles anders. Die Stadt entpuppt sich als eine Art Traumwelt, die riesigen, gesichtslosen schwarzen Monster sind allesamt Menschen aus Kays Leben. Der Vater, der es immer allen recht machen wollte, wird zum Chamäleon, der Kontrollfreak von Mutter zur Krake, der ängstliche Bruder zum Riesenvogel und Ex-Freund Jack zum gewaltigen weißen Wolf.

Und alle hatten Probleme, vor denen Kay stets die Augen verschlossen hatte. Oder die Ohren. Bruder Sunny wird in der Schule gemobbt, aber sie hört nicht hin, sondern textet lieber ihrem Freund. Freund Jack wiederum hatte in Wahrheit sein Leben gehasst, seinen Job, die Menschen, einfach alles und zeigte deutliche Anzeichen einer schweren Depression. Und auch die ganze scheinbar so heile Familienwelt war eine einzige Lüge, vor allem ihr Vater war völlig überfordert.

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Schuldgefühle und Ängste

Und Kay gibt sich die Schuld an all dem. Denn das Monster, das immer wieder aus dem Meer auftaucht und Jagd auf sie macht – das sind ihre eigenen Ängste, die sie mit sich herumschleppt. Was grafisch schön dadurch angezeigt wird, dass Ihr zu Spielbeginn schmaler Rucksack mit der Zeit immer größer und schwerer wird. Dass das Monster dann versucht, sie zu überreden, ins Wasser zu kommen – wo der sichere Tod lauert – könnte man daher auch mit latenten Suizidgedanken übersetzen. Ja, das Game lässt viele Deutungen offen.

(Copyright: Jo-Mei Games)

Spielerisch überschaubar

Spielerisch ist Sea of Solitude weder sonderlich aufregend noch besonders schwierig. Hier mal ein Tor öffnen, während wir über die Dächer der versunkenen Stadt balancieren, dort eine Lampe aktivieren, um wieder Licht in die Welt zu bringen und die Schattengestalten fernzuhalten, in der Schule den geisterhaften Schlägertrupps ausweichen und rechtzeitig aus dem Wasser sein, bevor das Seemonster uns erwischt – das ist schon die halbe Miete.

Dazu kommt etwas Sammelkram, ein wenig Jump & Run und ab und zu auch ein bisschen Action – wenn wir Gegner mit der Signalpistole ausschalten. Dank der vielen Rücksetzpunkte und der linearen Level ist das alles völlig unproblematisch, hebt das Game aber immerhin aus dem Status eines reinen Walking Simulators empor.

Ziel ist es auch nicht etwa, alle Monster zu töten. Das wäre ja auch Quatsch, immerhin sind das ja Freunde, Familie und Kay selber. Nein, es geht vielmehr darum, ihnen bei der Bewältigung ihrer Probleme zu helfen und sie wieder zu den Menschen zu machen, die sie mal waren. Und so die eigenen Schuldgefühle abzubauen.

(Copyright: Jo-Mei Games)

Feine Technik. Bis auf die fragwürdige Synchronisation

Optisch ist Sea of Solitude schon ein echtes Erlebnis – vor allem wenn man bedenkt, dass nur ein kleines Studio dahintersteht. Das Wasser leuchtet mal strahlend blau und plätschert sachte um die Dächer, dann wieder tost es rabenschwarz und bedrohlich. Es steigt und fällt, hin und wieder teilt es sich sogar, damit Kay trockenen Fußes von A nach B kommt.

Dazu die ständigen Tag/Nachtwechsel und die mal heiteren, mal düsteren Kulissen, die in dem eigenwilligen 3D-Fantasy-Grafikstil eine ganz großartige Stimmung aufbauen. Der Soundtrack passt sich dabei stets an – mal zuckersüß, dann plötzlich wieder wild und bedrohlich, ohne bei den Wechseln den Holzhammer auszupacken.

Was da dann aber gar nicht passt, ist der seltsame Entschluss, deutsche Sprecher in einem deutschen Spiel englisch sprechen zu lassen. Warum? Das erinnert stellenweise dann irgendwie an das berüchtigte „Sank ju for trävveling wiz the deutschen bahn“. Was vor allem deshalb stört, weil wirklich verdammt viel gesprochen wird. Manches Mal sogar zu viel, weil dann dem Spieler die Deutungshoheit und Vielfalt genommen wird. Manchmal ist weniger eben mehr.

(Copyright: Jo-Mei Games)

Geringer Wiederspielwert

Drei bis vier Stunden dauert ein Durchlauf, dann seid Ihr am Ende angekommen. Wie das aussieht, wird natürlich nicht verraten, nur so viel: Es gibt nur eines. Zusammen mit der recht strikten Linearität des Games ist der Wiederspielwert von Sea of Solitude so flach wie das Watt bei Ebbe. Aber für knapp 20 Euro ist das gerade noch ok.

(Copyright: Jo-Mei Games)

Fazit

Sea of Solitude ist ein Game über die Angst, über Schuldgefühle, Trauer, Verlust und Depressionen und diese zu visualisieren – und schon deshalb ein wichtiges Spiel mit einer Botschaft. Dass es dabei zuweilen zu viel redet und spielerisch etwas schwach auf der Brust ist, sei ihm verziehen. Absicht, Atmo und auch vieles an Umsetzung stimmen jedenfalls.

 

Game: Sea of Solitude

Genre: Jump & Run / Adventure

Release: 05.07.2019 (PC, PS4, Xbox One)

Entwickler/Publisher: Jo-Mei Games / EA

USK: ab 12

Sprachausgabe/Texte: Englisch/Deutsch 

Webseite: https://www.ea.com/de-de/news/ea-originals-introducing-sea-of-solitude

 

Wertung: 7 von 10

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