Ja, so hätten wir es im Frühjahr diesen Jahres ja gerne gehört, aber dann machte Corinna Corona einen fetten Strich durch die Rechnung. Damit der finanzielle Schaden nicht zu groß wird, hat man mit mehrmonatiger Verspätung die Saison nun doch noch gestartet – bisher auf zehn Rennen und acht Strecken drastisch reduziert. Rennen in Übersee sind aktuell noch ganz gestrichen. Mit dem neuen F1 2020 haben die PS-Fans jetzt aber immerhin die Möglichkeit, die Saison zumindest virtuell in vollem Umfang genießen zu können. Wie in jedem Jahr hat Codemasters das offizielle Spiel zur Formel 1 released: Ist das nur ein jährliches Update mit aktualisiertem Fahrerfeld oder steckt da mehr drin?
Audio/Podcast zum Gamecheck:
Das macht doch keinen Spaß mehr
Saison-Spätspart, der Terminkalender auf wenige Strecken und Rennen zusammengestrichen, Zuschauer sind eh keine dabei, Ferrari streitet sich mit Vettel, Leclercs zweiter Platz in Spielberg hatte ein Geschmäckle und am Ende stehen dann doch wieder Hamilton und Bottas oben auf den Siegertreppchen. Das ist so spannend wie der 112. Meistertitel der Bayern in der Fußball Bundesliga. NOT. Und während ich das hier gerade produziere, läuft im Hintergrund das zweite Rennen in Spielberg. Hamilton vor Verstappen und Bottas; Vettel und Leclerc schon raus, der Rest Lichtjahre hinterher. Gähn. Nein, da kommt das Game F1 2020 gerade recht – da können wir endlich wieder eine wirklich spannende Meisterschaft erleben.
Der My-Team-Modus
Beginnen wir gleich mal mit der größten Neuerung: Dem auf zehn Jahre ausgelegten Mein-Team-Modus. Da seid Ihr nicht nur als Fahrer, sondern gleichzeitig als Teamchef unterwegs. Ok, das gab es früher in der Formel 1 auch schon – Brabham, Curtis, Hill, McLaren – aber das ist ja nun schon ewig her – und heutzutage kaum noch vorstellbar. Das heißt nämlich, dass Ihr euch nicht nur um eure eigenen Belange kümmern müsst, sondern auch um die des Teams, dass ihr zu Anfang selber gründet, mit allem was dazu gehört. Ihr entwerft (ohne allzu große künstlerische Freiheiten) Teamfarben, Logo und Namen des Rennstalls, heuert einen zweiten Fahrer an, und sucht euch einen Sponsor.
Ist dann das erste Geld in der Kasse, kümmert ihr euch um einen passenden Motor, ohne euren anfangs kleinen Etat gleich zu sprengen. Ist das dann alles in trockenen Tüchern, geht’s ab in die Saison. Wo ihr – wie in der Karriere auch – Trainings, Qualifying und Rennen bestreitet, den Wagen auf die Piste abstimmt und so weiter. Neu ist jetzt, dass Ihr die Kohle, die es jede Woche vom Sponsoren gibt, in die Entwicklung eures Wagens oder in das Training des zweiten Fahrers steckt, was euch mehr Möglichkeiten gibt. Außerdem könnt ihr in den Pausen Teambuilding-Maßnahmen oder Extra-Testläufe anordnen, um schneller voran zu kommen.
Außerdem könnt ihr später dann auch einen stärkeren zweiten Fahrer einkaufen, sofern das Geld reicht und einige Dinge mehr. Das geht jetzt zwar lange nicht so sehr ins Detail wie bei einschlägigen Managementspielen, ist aber eine motivierende Ergänzung. Es macht deutlich mehr Spaß, einen Rennstall im Lauf der Jahre an die Spitze zu bringen als einfach immer nur im Kreis zu fahren.
Karriere wie gehabt
Aber keine Sorge, den Karrieremodus gibt’s natürlich auch noch. Da seid ihr als Fahrer genauso unterwegs wie im My Team Modus, aber eben nur ohne die zusätzlichen Teamleiter-Aufgaben. Außerdem könnt Ihr hier mit einer Formel 2 Saison starten – entweder vollständig oder verkürzt. Damit könnt Ihr eure Chancen in der nachfolgenden Formel 1 verbessern und euch schon mal einen Namen machen.
Ansonsten ist in der Karriere inhaltlich alles beim alten geblieben. Ihr entscheidet euch, ob ihr 10, 16 oder alle 22 Rennwochenende bestreiten wollt, auch, ob ihr komplette Trainings, Qualifying und Rennen über die volle Länge bestreiten wollt oder nur ein Bruchteil davon und absolviert im Training Aufgaben, um Punkte für die Verbesserung des Wagens zu sammeln.
Nervige Reporter (nein, nicht Kai Ebel)
Geblieben ist es leider auch bei den oft völlig blödsinnigen Fragen der Reporterin nach den Rennen oder Qualifyings. Blödsinnig, weil es völlig durchschaubar ist, welche Antwort wir wählen müssen, um bei den einzelnen Abteilungen zu Punkten. Aber auch, weil die Fragen oft überhaupt nicht zum Rennen davor passen. Da bin ich gerade mal so richtig mies gefahren und vorletzter geworden und werde dann mit „was für ein großartiges Rennen begrüßt“. Wo ich mir dann denke „Geh sterben, Tussi,“. Wird aber leider nicht als Antwortmöglichkeit angeboten.
Auch die Anweisungen meines Rennleiters sind mitunter überflüssig. „Wir sind einen Platz zurückgefallen“ – verkündet er mir etwa. Äh ja, ich sitze ja im Auto und hab selber gesehen, dass da einer an mir vorbei ist, aber danke für den Hinweis. Andererseits gibt’s da auch wieder recht nützliche Hinweise – etwa, dass man eine alternative Boxenstrategie ausbaldowert hat. Oder dass mein Sprit ausreicht, um auf ein fetteres Gemisch zu schalten, was mich etwas schneller machen würde. Aber weil wir gerade dabei sind – hier mein Lieblingsspruch aus der Abteilung „Wer hätte das gedacht!“: „Überholen ist wichtig in dieser Sportart!“
Neues auf der Strecke und am Schirm
Aber genug gelästert, kommen wir wieder zu den schönen Seiten und den Neuerungen von F1 2020. Denn da hat sich auf der Strecke doch einiges getan. Dazu gehören das einstellbare HUD, der neue Rückspiegel, eine Abstandsanzeige, die nicht mehr nur nach jedem Sektor, sondern ständig erneuert wird, das vereinfachte, aber jetzt realere Energierückgewinnungssystem und das verbesserte Strafensystem. Was meistens, aber immer noch nicht immer funktioniert. Hier zum Beispiel hatte ich keine Ahnung, was da passiert sein soll. Und das ist noch lange nicht alles. Hervorheben möchte ich auch noch den Modus für Gelegenheitsspieler, der mit den voreingestellten Fahrhilfen den Einstieg erleichtert und – tadaaaa! – endlich auch die Rückkehr des Splitscreen-Modus, den wir 2014 das letzte Mal spielen durften. Das wurde auch Zeit.
Neue Strecken, altes gutes Fahrgefühl, vertraute Spielmodi
Das Fahrgefühl ist wieder tadellos, das Geschwindigkeitsgefühl ist gewohnt klasse, der Grip in den Kurven ist jetzt auch noch etwas besser getan. Die stetige Entwicklung der letzten Jahre in Richtung Simulation hat dem Spiel gut getan. Wer will, hat es da durchaus mit einem recht widerspenstigem PS-Monster zu tun, das gezähmt werden will. Dabei übertreibt es das Game aber auch nicht – von einer knallharten Simulation ist F1 2020 immer noch weit entfernt. Aber das ist auch nicht der Anspruch dieses Racers.
Was gibt es noch außer Mein Team und Karriere? Die üblichen Verdächtigen. Also Zeitrennen, Grand Prix, klassische Wagen und Rennen, Multiplayer mit und ohne Ranking, Online-Ligen, wöchentliche Events und zudem auch wieder viel E-Sport.
Ach ja, mit dabei sind nun auch die beiden Strecken in Zandvoort / Niederlande und Hanoi / Vietnam, die mit ihren unterschiedlichen Profilen durchaus eine Bereicherung des Rennkalenders darstellen. Der Dünenkurs an der Nordsee glänzt mit einigen schön überhöhten Kurven, der neue Stadtkurs in Asien mit anspruchsvollen Links-Rechts-Kombinationen, die eine präzise Linie erfordern.
Technisch verfeinert
Technisch hat F1 2020 gegenüber seinem Vorgänger weiter zugelegt. Die ganze Präsentation vor den Rennen geht immer mehr in Richtung TV-Übertragung, das dynamische Wetter kann Rennen entscheiden, auch an den Details und an der Mimik und den Gesichtern der Fahrer wurde gefeilt – auch wenn die immer noch leichte Botox-Tendenzen aufweisen. Beim Sound gefallen mir besonders die fetten Motoren. Das Game ist überdies komplett sehr ordentlich deutsch synchronisiert.
Fazit
F1 2020 hat im Vergleich zum Vorjahresmodell noch einmal zulegen können. Der überflüssig-peinliche Storymodus wurde durch den motivierenden My-Team-Modus ersetzt, dazu kommen zahlreiche sinnvolle Komfortverbesserungen. Das Fahrgefühl ist prima, die Technik stimmt und Spielmodi gibt’s genug, um uns über die verkorkste reale Saison hinweg zu trösten. Apropos reale Saison: Hier hat eben Hamilton vor Bottas gesiegt. Mir egal. Auf mich wartet mein Rennstall und das Wochenende in Zandvoort.
Game: F1 2020
Genre: Racer
Release: 07.07.2020 (PC, PS4, Xbox One)
Entwickler/Publisher: Codemasters
USK: ab 0
Sprachausgabe/Texte: Deutsch/Deutsch
Webseite: https://www.codemasters.com/game/f1-2020/
Wertung: 9 von 10