2017 ließ ein Action-Adventure auf die ganz subtile Art kindliche Urängste in uns wach werden. In „Little Nightmares“ war eine kindliche, schutzlose Spielfigur in furchteinflößender Umgebung permanent auf der Flucht vor übermächtigen, unheimlichen Gefahren. Üble Hausmeister oder unförmige Schlachter statt billiger Splattereffekte ließen Bilder im Kopf entstehen, die viel schrecklicher waren als die Gefahren auf dem Bildschirm selber. Trotz eher einfach gestrickter Rätsel war das so erfolgreich, das nun eine Fortsetzung folgte. Die wir uns heute mal näher anschauen. Letzte Chance, die Geisterbahn zu verlassen… keiner? Ok, dann los.
Gamecheck also Audio/Podcast:
Mono statt Six
Wir erinnern uns (oder auch nicht): In der Schlussszene des ersten Teils stapfte die kleine Heldin Six in ihrem gelben Regenmantel eine Schiffstreppe empor ins Licht – Abspann. Teil 2 beginnt nun – nein, nicht oben im Licht, und auch nicht mit Six. Stattdessen erwachen wir in der Gestalt des kleinen, zwergenhaften Mono in einem dunklen Wald. Genauer: Im Wald von Pale City.
Fahles Mondlicht fällt durch das dichte Laub, Nebelschwaden ziehen zwischen den Bäumen, ein paar Blätter tanzen im Wind, während sich Mono – in Lumpen gehüllt und mit einer Papiertüte über dem Kopf (kindlicher Eskapismus in Reinform) – während sich also Mono, hinter dem ein Fernseher flackert (was macht ein Fernseher nachts im Wald? Hört sich wie der Anfang eines guten Witzes an, ist aber eine ernstgemeinte Frage) – während sich also Mono auf den Weg macht.
Find’s halt selber raus!
Und warum? Was ist passiert? Worum geht’s? Was müssen wir machen? Und wie funktioniert die Steuerung? Das müssen wir selber rausfinden. Nur wenn wir zu oft scheitern, haben die Entwickler ein Einsehen und blenden kurz die passenden Tastenhinweise ein. Und die Story? Nun, es gibt weder ein erklärendes Intro noch irgendwelche Textfunde im Spiel noch eine Sprachausgabe.
So müsst Ihr Euch die Geschichte halt selber ein wenig zusammenreimen. Aber schon im ersten Teil gab es ja am Ende wilde Diskussionen, was das denn nun alles zu bedeuten habe. Da kann sich dann jeder selber ein wenig zusammenfantasieren, um was es hier in dieser seltsamen Welt voller leerer Kleidungsstücke, monströs verwandelten Gestalten und wilden Puppen geht. Ein Traum für jeden Deutschlehrer und sein „Was will uns der Dichter damit sagen“.
Environmental Storytelling
Kleiner Tipp: Wer versucht, hier jeden Winkel zu erforschen, bekommt den ein oder anderen kleinen Hinweis mehr. „Environmental Storytelling“ nennt sich das, Geschichten mit Hilfe der Umgebung erzählen. Bekannte Games, die sich dieses Tools bedienen, sind zum Beispiel Inside, Horizon Zero Dawn oder Silent Hill 2. Dass nun auch Little Nightmares darauf setzt, ist an sich naheliegend, entsteht doch – wie schon erwähnt – auch der Horror im Spiel mehr im Kopf des Spielers als durch die klassischen Horror-Elemente. So erlebt am Ende jeder dieses Game – je nach eigenen Erfahrungen und Ängsten – etwas anders, und das ist gut so. Übrigens: Zum Schluss wird dann nicht alles, aber einiges klarer. Sofern man vorher gut aufgepasst hat. Aber ob ihr nun die Geschichte zusammenbekommt oder nicht, ist auch gar nicht so entscheidend: Ihr könnt auch so jede Menge Spaß mit den kleinen Albträumen haben, denn der Star des Spiels ist eigentlich die düstere, sehr eigenwillige Atmo.
Von Hüpfen und Rätseln
Doch keine Sorge, auch spielerisch ist wieder einiges los hier. Sogar einiges mehr als im ersten Teil. Wie gehabt sind da erst mal die – oftmals etwas kniffligen – Jump & Run-Passagen. So springt Mono über Abgründe, schwingt an Seilen, klettert an Bücherregalen empor oder zieht sich an Vorsprüngen nach oben. Da ist mitunter millimetergenaues Timing gefragt. Hinzu kommt, dass Euer Weg mit Fallen gespickt ist. Da lauern fette Bäreneisen im hohen Gras, schwingen Zementgefüllte Eimer von der Decke oder werdet ihr ohne Vorwarnung von umstürzenden Schränken erschlagen.
Zusätzlich müsst Ihr wie gehabt immer wieder kleinere (und später auch größere) Rätsel lösen. Gerade anfangs beschränken die sich auf das Verschieben von Gegenständen, die Suche nach einem Schlüssel oder dem Einsetzen einer Sicherung.
Später dann legt das Game gern einen drauf. Da müsst Ihr dann überdimensionale Schachfiguren in einer dämmerigen Dachkammer richtig anordnen (Spoiler: Schaut euch die Bilder dort oben mal gut an) oder mehrere Räume voll mit mordlustigen Puppen durchqueren (Noch ein Spoiler: Was man nicht im Kopf hat, muss man auf dem Kopf haben). Daran hat man dann schon mal zu knacken; das Niveau von einschlägigen Adventures erreicht Little Nightmares II aber nicht, auch ein Inventar habt ihr nicht.
Das ist neu: Waffen
Neu ist, dass sich Mono gegen die kleineren Gegner – also die Puppen mit den Porzellanköpfen – nun auch zur Wehr setzen kann, indem er mit Hammer, Suppenkelle oder Bleirohr auf sie einschlägt. Allerdings sind diese „Waffen“ fast ebenso groß wie der Wichtelheld selber, so dass er selbige nur wenige Meter hinter sich herschleifen kann und nach jedem Schlag erst einmal eine kleine Pause braucht.
Bei den größeren Bossgegnern – wie etwa dem Jäger aus Kapitel 1, der Lehrerin aus Kapitel 2 oder den Irren aus Kapitel 3 – hilft aber nur Verstecken und Flucht. Diese wahrlich alptraumhaften, grotesk deformierten Gestalten sind dann auch die Krönung des Games. Allein die Szene, in der mich die Lehrerin mit ihrem ausfahrbaren Hals und dem riesigen Kopf in der Bibliothek verfolgte um mich zu fressen, während ich geradezu panisch um mein Leben rannte, kletterte und schlidderte, hat mich mehr Nerven gekostet als das gesamte Resident Evil 7 zusammen.
Auch neu: Taschenlampe, Fernseher und Koop
Neu ist auch, dass Mono nun – nach einiger Zeit – auch eine Taschenlampe bekommt. Mit der kann er nicht nur für Licht in der Dunkelheit sorgen, sondern auch mordgierige finstre Gestalten auf Abstand halten. Eine Idee, die zwar nicht neu, aber immer wieder gut ist.
Und schließlich hat der zweite Teil von Little Nightmares auch Fernseher als Portale und ein Koop-Feature bekommen. Ihr könnt da zwar nicht zu zweit spielen, erhaltet aber Hilfe von Six, die eigenständig agiert. Die macht dann schon mal Räuberleiter, fängt euch bei größeren Sprüngen auf, hilft beim Öffnen schwerer Türen oder lenkt Gegner ab.
Das alles macht sie automatisch, eigenständig und zuverlässig, ohne dass ihr da Befehle geben müsstet. Und wenn sie mal doch nicht sofort zur Stelle ist, könnt ihr sie auch rufen. Geradezu rührend ist die Möglichkeit, sie bei der Hand zu nehmen und gemeinsam loszulaufen.
Das nervt!
Sehr oft ist bei all dem aber Trial & Error gefragt. Die Fallen kommen zuweilen ebenso ohne Vorwarnung wie die Gegner, und auf der Flucht kann ein falscher Schritt oder ein kleines Hindernis schon bedeuten, dass Ihr es noch einmal probieren müsst. Wobei euch das Game auch gerne mal im unklaren lässt, was genau ihr denn verkehrt gemacht habt.
Oftmals spielt euch auch die 2,5D-Perspektive einen Streich. Zwar ist die Hauptrichtung im Spiel – wie in den meisten Jump & Runs – von links nach rechts, aber es geht auch ein Stückchen nach hinten, genau wie in Little Big Adventure. Was zwar schön ist, aber da lassen sich dann Entfernungen nicht mehr genau abschätzen, was dazu führt, dass ihr ins Leere springt oder gegen eine Wand rennt.
Gleiches gilt für die Kämpfe: Kommt ein Gegner von hinten oder vorn und nicht von der Seite, geht der Schlag oftmals ins Leere. Und da ihr es meist mit mehreren Gegnern nacheinander zu tun habt in einer Szene, reicht schon ein Fehlschlag, um das Ganze noch mal zu probieren. Da die Rücksetzpunkte meist nie weit zurück liegen, ist das kein Drama, wird beim zehnten Versuch aber doch irgendwann echt nervig.
Überhaupt ist die Steuerung nicht wirklich genau. Besonders in den Klettereinlagen bleibt man gerne mal irgendwo hängen oder fällt wieder runter, weil die Tasten manchmal einfach nicht gehorchen wollen. Oder man leuchtet mit der rettenden Taschenlampe am Gegner vorbei, weil die Lenkung gerade mal wieder zickt. Das sind dann die Augenblicke, wo man kurz davor ist, das Game für immer wieder von der Platte zu verbannen. Aber das vergeht schnell wieder.
Grafik und Sound
Was zum Teil auch an der vorhin schon kurz gefeierten großartigen Atmo des Games liegt. Die wunderbar trostlosen Schauplätze der fünf Kapitel orientieren sich mit Locations wie der völlig heruntergekommen Schule mit der prügelnden Lehrerin, dem leeren Krankenhaus oder dem düsteren Wald an unseren kindlichen Urängsten und sind großartig in Szene gesetzt. Mit düsteren Farben, permanenter Dämmerung und geradezu grotesk überzeichneten Figuren und Objekten.
Das alles kommt dank Filtern, Tiefenschärfe und Unschärfe und gekonnten Licht/Schatten-Spielereien richtig gut rüber, unterstützt von einem Sounddesign, das an den richtigen Stellen dezent zulegt, sonst aber das Geschehen mit einer herrlich gruseligen Soundkulisse untermalt, ohne sich zu sehr in den Vordergrund spielen zu wollen. Perfekt. Da freut man sich umso mehr, dass die Spielzeit mit 5-6 Stunden gut doppelt so umfangreich ausgefallen ist wie bei der Erstausgabe.
Fazit
Little Nightmares 2 ist eine gekonnte Fortsetzung des ohnehin schon überraschend guten ersten Teils, die mit mehr Abwechslung bei den Schauplätzen, neuen spielerischen Elementen, einer Spur Koop und der fantastischen Atmo fast restlos überzeugen kann. Etwas weniger Trial & Error hätte ich zwar schon begrüßt, auch habe ich die mitunter unwillige Steuerung verflucht, aber letztendlich den kleinen Gruseltrip von Anfang bis Ende genossen. Den solltet ihr euch unbedingt mal anschauen – zum Beispiel auf meinem Youtube-Channel. Vielleicht kommt Ihr dann ja auch auf den Geschmack.
Game: Little Nightmares 2
Genre: Action-Adventure
Release: 11.02.2021 (PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series, Switch, PC)
Entwickler/Publisher: Tarsier Studios / Bandai Namco
USK: ab 16
Sprachausgabe/Texte: - /Deutsch
Webseite: https://de.bandainamcoent.eu/little-nightmares/little-nightmares-ii
Wertung: 8 von 10