Watch Dogs: Legion

(Copyright: Ubisoft)

Assassins Creed, Far Cry, The Division oder Watch Dogs – Ubisoft hat ein Faible für Open-World-Games mit zum Teil riesigen Spielewelten. Mein Problem war da aber fast immer: Zum einen wiederholte sich das Spielgeschehen irgendwann, zum anderen hatte ich mit der Zeit derart viele Haupt- und Nebenmissionen in meinen Auftragsbüchern, dass ich die Lust verlor. Weniger ist mehr und so, kennt ihr ja. Deshalb war ich jetzt gespannt, ob auch der dritte Teil der Watch Dogs-Reihe früher oder später auf meine Motivationsbremse tritt. Denn immerhin hat sich das Game eine Menge vorgenommen: Es gibt nicht nur einen oder zwei Helden, nein, ihr könnt jede einzelne Person im Spiel  übernehmen. Und das sind neun  Millionen! Und das soll funktionieren? Schaun wir mal.

Audio/Podcast zum Gamecheck:

Die Vorgänger

Wir erinnern uns: Der Vorgänger Watch Dogs 2 überzeugte uns mit tollen Missionen, klasse Schleicheinlagen, viel spielerischer Freiheit und einer spaßigen Hacking-Mechanik, machte aber den Fehler, völlig unsympathische Helden zu präsentieren. Die selbstgerechten, Follower-geilen Hipster-Hacker waren keinen Deut besser als ihre Gegner, nervten zudem mit pseudo-witzigen Nerdsprüchen in der Heavy Rotation und waren berauscht von ihrer vermeintlichen Unfehlbarkeit.

Vor allem aber konnte es sich einfach nicht entscheiden, ob es nun düster oder witzig sein wollte und geriet bei dieser Gratwanderung ein ums andere Mal schwer ins Straucheln. Wie gesagt: Abgesehen davon ein großartiges, schwer unterhaltsames Game, aber in Bezug auf seine Protagonisten ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte.

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Die Story

Gut, hat sich Ubisoft da vielleicht gesagt, dann machen wir eben alle neun Millionen Figuren spielbar, da wird dann schon der ein oder andere sympathische Kerl dabei sein. Spielerischer Mittelpunkt ist aber trotz dieses unglaublichen Figurenbergs wieder die Hackergruppe DedSec, die wir ja schon aus den früheren Folgen kennen.

Nach Chicago und San Franzisco ist die Gruppe jetzt in einer futuristischen und doch recht düsteren Version von London aktiv, der bezaubernden Themse-Metropole mit ihren schrulligen Einwohnern, dem Linksverkehr und seiner gewöhnungsbedürftigen Küche. Aber so schön bleibt es natürlich nicht – denn das Team entdeckt mitten in der City eine Bombe. Aber das ist noch nicht alles: Neben den Zünder haben Unbekannte DedSec-Stuff gelegt. Ja, die Welt ist schlecht. Und irgendjemand hat es nicht nur auf das Parlament, sondern auch auf DedSec abgesehen.

Mit einer Bombe kann man ja noch klar kommen, aber dann finden sich noch weitere. Man tut, was man kann, aber vergebens, die Dinger gehen hoch und richten massive Schäden an.

Es drohen Unruhen und die Regierung kapituliert endgültig und übergibt das staatliche Gewaltmonopol an eine private Organisation namens Albion mit ihrem zwielichtigen Chef Nigel Cass. Die Stimmung in London kocht. Die einen sehen DedSec als Schuldige für die Bombenattentate, andere vermuten, dass die Regierung und Albion dahinterstecken, wieder andere wälzen abstruse Verschwörungstheorien – in denen zwar Bill Gates und kinderfressende Reptiloiden keine Rolle spielen, aber ansonsten kommt einem das alles doch sehr bekannt vor. Unterdrückung, Angst, Gedankenkontrolle – da kann überraschenderweise nur einer helfen, um London zu befreien und den dunklen Mächten wie Albion das Handwerk zu legen.

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There are 9 million NPCs in London (and 9 million bicycles in Beijing)

Womit ich dann auch geschickt und kunstvoll den Bogen zu Ubisofts eingangs erwähnter großen Neuerung geschlagen habe: Ihr könnt theoretisch jeden Passanten zum DedSec-Mitglied machen und euch deren individueller Fähigkeiten zunutze machen. Ganz so einfach wie früher – also mal eben kurz das Smartphone hacken – geht das jetzt aber nicht. Ihr müsst die Leute erstmal auf der Straße anquatschen – „Ja hallo, ich bin von einer Hacker-Organisation , die unter Terrorverdacht steht und wollte Sie fragen, ob Sie nicht vielleicht Bock haben, bei uns mitzumachen“ – so in der Art – und müsst dann auch noch eine kleine Mission erledigen wie Daten löschen oder Schulden begleichen – erst dann ist die Zielperson auch im Team.

Nun ist nicht jeder der gut neun Millionen NPCs grundlegend anders, es gibt halt ein paar Basic-Skill- und Charakterklassen. Wenn ihr schlagkräftige Mitstreiter braucht, sucht ihr euch am besten einen Hooligan, die Palastwache kann Waffen besorgen, der Bauarbeiter eine Lastdrohne benutzen, Spione bringen ihr Hightech-Spielzeug mit, Straßenkünstler tarnen sich als lebende Statue vor der Polizei, die Imkerin schickt Killerbienen auf die Gegner usw. usw. – das Prinzip sollte klar sein.

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Zwar unterscheiden sich die NPCs dann auch „hinter dem Komma“, also in Namen, Beruf, Aussehen (wobei das Auswürfeln vorgefertigter Module da mehr Vielfalt vortäuscht als wirklich vorhanden ist) oder Biografie, aber letztendlich geht es um grundlegende Charakterklassen. Trotzdem ist das eine tolle Sache, da es durch die Auswahl der Mitstreiter ins Team viel taktischen Spielraum und Unmengen von Lösungsmöglichkeiten für eine Mission gibt

Der Verzicht auf durchgehende Helden und die Masse an spielberechtigten NPCs führt aber auch dazu, dass die NPCs seelenlose, eindimensionale Hüllen ohne Geschichte und Weiterentwicklung bleiben, nur dazu da, für kurze Zeit einen Fetzen Story zu präsentieren, um im nächsten Augenblick schon wieder vergessen zu werden. Falls ihr euch nicht dazu aufrafft, ein Team auf Dauer zu formen. Was man aber nicht unbedingt muss. Einzig Chefin Sabine und der humorige Computer Bagley sorgen für feste Ankerpunkte.

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Von Skills und Upgrades

Um die Zahl der Agenten in Eurem Team zu erhöhen, müsst ihr die acht Bezirke von London freischalten. Etwa, indem ihr Albion-Propaganda entfernt oder belastendes Material über die verbreitet. Na ja, immerhin müssen wir dieses Mal nicht auf Türme klettern und in Heuwagen hüpfen, aber das Ideen-Recycling ist unverkennbar.

Ihr könnt die DedSec Mitglieder dann auch individuell mit weiteren Skills, Waffen, Upgrades und Gadgets ausrüsten. Die wiederum bekommt ihr für Tech-Punkte, die ihr in der Open World findet oder für Missionsbelohnungen. Der Haken daran: Den meisten Kram werdet ihr gar nicht brauchen, da ihr immer nur ein Gadget gleichzeitig nutzen dürft und der Spider-Bot oftmals unverzichtbar ist. Immerhin aber können alle freigeschalteten Sachen dann auch von allen NPCs genutzt werden.

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Leise und laute Missionen

Die Missionen an sich sind nicht sonderlich einfalls- und abwechslungsreich ausgefallen, gewinnen aber durch die eingangs erwähnten mannigfaltigen Lösungsmöglichkeiten. Da macht es einfach Spaß, immer neue, verrückte Wege auszuprobieren. Wenn man es dann darauf anlegt. Denn meist reicht es auch, die vielseitige Spinnendrohne loszuschicken. Wer will, kommt so auch ganz easy, aber ohne viel Freude weiter.

Wer mag, kommt da meistens auf leisen Sohlen ans Ziel. Gegner ablenken, mit abstrusen Gadgets kampfunfähig machen, Kameras hacken, kunstvolle Fallen kreieren – kein Problem, tobt euch aus. Werdet ihr aber entdeckt, wechselt ihr automatisch in die Action, dann gibt es Saures. Was nicht zwangsläufig in einem Blutbad enden muss, da ihr ja auch die nichttödlichen DedSec Waffen einsetzen könnt. Was aber eigentlich keinen Unterschied macht: Gleichgültig, ob ihr die Gegner mit Gummi- oder Stahlmantelgeschossen trefft, die bleiben eh bis zum Ende der Mission liegen. Und Bonuspunkte für friedlicheres Vorgehen gibt es auch keine – so ist es letztendlich wumpe, wie ihr vorgeht.

Einziger Unterschied: Das leise Vorgehen macht mehr Laune, weil die Steuerung der Action doch reichlich haklig ist und die Nahkämpfe sich auf eintönige Kombos beschränken. Gleiches gilt für das Steuern von gekaperten Fahrzeugen: Durch die schwammige Steuerung bleibt die Action hier schnell auf der Strecke. Daher sollte man bei der Bezeichnung „Action Adventure“ hier dann eher vorsichtig sein.

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Kein Problem für Profis und die Streets of London

Der Schwierigkeitsgrad ist doch sehr gemäßigt. Selbst auf dem höchsten Level kommen versierte Spieler eigentlich problemlos durch. Die sollten dann zumindest noch den Permadeath für ihre Charaktere voreinstellen, damit kommt etwas mehr Anspruch rein; ansonsten tauchen die „erschossenen“ Helden nach spätestens 15-30 Minuten wieder auf. Komplexere Rätsel- oder Klettereinlagen – ganz groß da immerhin: Rauf auf den Bigben – sind an einer Hand abzuzählen. AR-Rekonstruktionen a la Batman gehören zu den Highlights.

Mangels Helden ist die London der Star des Games. Die Metropole wurde eindrucksvoll umgesetzt, wer schon mal da war, wird sicher eine Menge wieder erkennen und Stunden einfach mal mit Sightseeing verbringen. Hinzu kommt, dass London mit seiner vielseitigen Architektur deutlich mehr zu bieten hat als die Reißbrettvorgänger Chicago und San Francisco.

Dabei hätten die Streets of London aber noch etwas mehr Leben vertragen können. Auch hätte ich mich gefreut, auch mal Gebäude betreten zu dürfen, die gerade nicht Missionsrelevant sind. Und dass ich nun meine neuen Klamotten kaufe, während ich draußen vor der Schaufensterscheibe stehe, statt im bunten Angebot im Laden zu wühlen, macht die Sache auch nicht besser.

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Fazit

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Watch Dogs Legion ist eine schöne Spielwiese für alle, die Spaß an London haben und daran, Missionen auf möglichst einfallsreiche Art zu absolvieren. Und es bringt auch die Botschaft gut rüber, dass jedes Auflehnen gegen Unterdrückung vom Volk ausgehen muss, wenn es erfolgreich sein will, gut rüber – und verzichtet dabei auch nicht auf aktuelle Zeitbezüge.

Weniger schön ist – und damit kommen wir zum anfangs geschilderten Problem – dass wir auch hier immer wieder das gesamte Spiel über ziemlich gleichförmig genau das machen, was wir schon hinlänglich aus den ersten Teilen kennen: Systeme und Leute scannen, hacken, schleichen und ballern. Und an diesen Mechanismen hat Ubisoft kaum etwas verändert. Etwas mehr Innovation dort – und etwas weniger „Hurra, wir haben 9 Millionen Helden“ – und Watch Dogs Legion wäre ein noch besseres Game geworden.

Game: Watch Dogs: Legion
Genre: Open World Action-Adventure
Release: 29.10.2020 (PC, Stadia, PS4/PS5, Xbox One/Xbox Series)
Entwickler/Publisher: Ubisoft
USK: ab 18
Sprachausgabe/Texte: Deutsch/Deutsch
Webseite: https://www.ubisoft.com/de-de/game/watch-dogs/legion
Wertung: 8 von 10