Habt ihr mal gezählt, wie viele Ausgaben es inzwischen von Assassins Creed gibt? 13 Jahre ist es her, als der erste Teil erschien, der damals einfach nur „Assassins Creed“ hieß und im Heiligen Land zur Zeit der Kreuzzüge spielte. Es folgten Ausflüge ins Norditalien der Renaissance, nach Konstantinopel, nach Amerika zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges, zu den Piraten der Karibik im 18.Jahrhundert, ins Paris der Französischen Revolution, nach London während des Viktorianischen Zeitalters sowie ins Antike Ägypten und Griechenland. Damit war es fast schon zwangsläufig, dass Teil 12 – richtig, das wäre die Antwort auf meine Eingangsfrage gewesen – jetzt in der nordischen Saga bei den Wikingern angesiedelt wurde, weil man alle anderen Schauplätze und Zeiten ja schon durch hatte. Aber ist Assassins Creed Valhalla jetzt nur noch ein weiterer Aufguss in einem neuen Kostüm, oder ist Ubisoft da noch was neues eingefallen?
Audio/Podcast zum Gamecheck:
Ein Tutorial in Norwegen
Valhalla spielt im Jahr 873. König Harald – der übrigens den Spitznamen „Schönhaar“ trug, aber das nur nebenbei, falls der Jauch mal danach fragt – also Harald herrscht über weite Teile Norwegens. Was aber erst später fürs Spiel relevant wird. Ihr spielt die Figur Eivor – wahlweise ein Mann oder eine Frau, deren bzw. dessen Familie in ihrer/seiner Kindheit beim Überfall eines anderen Wikingerclans getötet wird. Diese augenscheinlich als Tutorial gedachte Einleitung zieht sich überraschend lang hin – nämlich gut 5 Stunden, wird aber nicht langweilig. So habt ihr im verschneiten Norden die Gelegenheit, euch eingehend mit den Mechaniken des Spiels vertraut zu machen. Bis ihr dann – 15 Jahre älter – endlich euren Rachefeldzug abschließt und den Mörder eurer Familie tötet.
Und nun? Spielziel erreicht? Game Over? Nö, aber von jetzt auf gleich ist nicht nur der Mörder der Familie, sondern auch die ganze sorgsam aufgebaute Rachegeschichte gestorben, schon irgendwie seltsam. Egal, auf jeden Fall hat Eivor jetzt den Kopf frei und kann sich neuen Zielen zuwenden. Und dabei kommt Eivors Ziehbruder Sigurd ins Spiel, der wiederum der Sohn Haralds ist. Und der eigene Pläne verfolgt: Er will in England was eigenes aufbauen, wenn Papa ihn nicht König in Norwegen werden lässt.
Auf nach Englaland
Eivor schließt sich Sigurd an und macht sich auf nach England. Bzw. Englaland, wie die Wikinger es nennen. Aus dem dann später tatsächlich der Name England entstand. Aber keine Sorge – so richtig tief ist der Bruch zwischen König Harald und Sohnemann Sigurd nicht, wir können also jederzeit mal zwischendurch in Norwegen vorbeischauen, es weiter erforschen und uns dort frei betätigen.
Übrigens sind wir in Englaland nicht die ersten Wikinger – die Söhne eines gewissen Ragnar Lodbroks sind dort schon seit einigen Jahren aktiv. Ragnar Lodbrok? Etwa der coole Typ aus Vikings? Richtig, denn der angeblich ehemalige dänische König und Wikinger ist eine ziemlich angesagte Figur der nordischen Sagenliteratur, dessen historische Existenz aber nicht wirklich gesichert ist. Es gibt sogar eine Theorie, dass Ragnar und Lodbrok zwei oder mehrere Personen waren, die man später einfach zusammengemixt hatte. Aber ich schweife schon wieder ab, sorry.
Sim Wikinger
Die Rachestory ist jedenfalls durch und wir sind auf dem Weg nach Englaland. Was machen wir dort? Na, das was wir in Open World Spielen allgemein und in Assassins Creed Games speziell eigentlich immer machen: Nach und nach Gebiete freischalten, indem wir uns mit den dortigen lokalen Herrschern verbünden und natürlich auch kämpfen. Aber bevor wir damit starten, brauchen wir erst einmal eine Basis und gründen deshalb eine Siedlung namens Hraefnathorp. Am Anfang besteht das nur aus ein paar Hütten und Zelten, aus denen wir nach und nach ein schmuckes kleines Städtchen machen. Die dazu benötigten Ressourcen besorgen wir uns bei unseren „hilfsbereiten“ Nachbarn.
Was anfangs ja noch ganz motivierend ist, ufert schnell in eine doch recht monotone Abfolge immer gleicher Raids aus, an deren Ende ich mich dann in meinem Dorf vor ein Schild stelle und anklicke, was ich ausbauen möchte. Irgendwie wenig prickelnd, das hätte man doch deutlich schöner machen können.
Es wird ja nicht nur gebaut
Aber das ist ja nur ein Aspekt des Spiels. In erster Linie geht’s – wie gesagt – darum, immer weitere Gebiete freizuschalten, Ressourcen, Artefakte, Schätze, Waffen, Erfahrungspunkte und dergleichen mehr zu sammeln, am Skilltree basteln und den Herrschern der umliegenden Gebiete – oder denen, die es werden möchten – zur Hand zu gehen, um sie auf eure Seite zu ziehen. Bei den Aufgaben, die da auf euch warten, haben sich die Entwickler durchaus Mühe gegeben, die mit kleinen Überraschungen zu füllen. Da müsst ihr nicht nur leidige Gegner der Machthaber stürzen oder eine der vielen Massenschlachten führen, sondern auch schon mal eine Hochzeit arrangieren, mit Kindern spielen oder Betrunkene nach Hause bringen. Um am Ende dann meist den Mann nach unserer Wahl auf den Thron bringen.
Gut, am Ende heißt das, dass wir dabei immer irgendwie von A über B nach C und wieder zurück reisen, was mitunter ermüdend sein kann. Dafür werden wir aber mit vielen netten kleinen und durchaus unterhaltsamen Geschichten in den jeweiligen Gebieten belohnt, die sich meist recht gut in das große Ganze einfügen. Die Hauptstory ist dann zwar – eingedampft – nicht sonderlich umfangreich, aber entwickelt sich recht gut und manchmal auch überraschend. Das kann man so machen.
Kommt ein Wikinger ins Kloster…
Was macht man noch so in Englaland? Richtig, Klöster überfallen. Denn die sind leichte Beute – weil nur schwach verteidigt – und haben vor allem einiges an Schätzen gehortet. Neu ist in diesem Zusammenhang, dass ihr jetzt mit euren Langbooten auch die Flüsse befahren könnt. Bzw. müsst, da die Klöster seltsamerweise immer an Flüssen liegen. Praktisch: Runter vom Boot und ran an den Mönch. Aber auch Dörfer lassen sich so bequem überfallen. Ihr könnt auch so einfach auf den Flüssen rumschippern, aber mit dem Pferd geht’s einfach schneller.
Vikings vs. Greece
Aber schauen wir mal auf die Sachen, die Valhalla besser macht als der Vorgänger Odyssey. Da ist zum Beispiel der Loot: Während wir in Griechenland damit förmlich zugemüllt worden sind, geht Valhalla damit viel sparsamer um. Was jeden Fund dann auch deutlich aufwertet.
Gleiches gilt für die Nebenmissionen. Die hier World Events heißen. Die mussten wir uns in Odyssey immer erst selber suchen und dann eine ganze Kiste voll abarbeiten, um genug Power für die nächste Hauptmission zu haben. Bei den Wikingern dagegen entfällt dieser Zwang. Und damit allerdings auch ein Teil des Reizes, auch den letzten Winkel der offenen Spielewelt zu erkunden. Zum Glück aber sind die Nebenmissionen hier zwar etwas sparsamer eingesetzt, dafür aber aufwändiger gestaltet, die sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.
Schleichen oder Kämpfen?
Die Bedeutung des Schleichens ist in Valhalla massiv gesunken. Klar, kann man immer noch machen und hin und wieder machts auch Sinn – etwa, wenn ich vor der Erstürmung einer Festung oder eines Dorfes vorab da mal reinschleiche und Geschütze und Soldaten schon mal dezimiere. Aber ansonsten könnt ihr euch auch einfach ganz entspannt von Kampf zu Kampf hangeln.
Das liegt vor allem an der ziemlich dümmlichen KI, die uns vor keine großen Herausforderungen stellt. Wer sich da nicht komplett dämlich anstellt, der wird recht schnell mit so ziemlich jedem Gegner fertig und schnetzelt sich gechillt durch so manchen Massenschlacht. Auch, weil das Kampfsystem erneut recht simpel gehalten wurde.
Assassinen, Templer, Heuhaufen und der Animus
Wie gesagt: Wer mag, darf aber auch den umständlicheren Weg gehen und versuchen, die meiste Zeit möglichst lautlos zu agieren. Dabei helfen ein paar alte Bekannte: Die Assassinen. Die hier aber anders heißen. Also, die heißen nicht Anders – auch wenn das ein nordischer Vorname ist – sondern „Verborgene“ (wenn ich mich recht erinnere), die uns mit ihrer Spezialklinge versorgen.
Und wo die Assassinen sind, sind auch die Templer nicht weit. Die hier aber auch nicht Templer heißen, sondern „Orden der Ältesten“. Ja, sogar die Sprünge von Türmen hinab und die Heuhaufen haben es wieder in Assassins Creed geschafft.
Irgendwie ist es Ubisoft dann auch gelungen, auch noch den ganzen Animus-Käse wieder unterzubringen. Ich persönlich finde den ja schon lange komplett überflüssig und störend, diese Zeitreise-Rechtfertigung brauch ich echt nicht mehr. In unserem Fall hat Eivors Geschichte Bedeutung für die Gegenwart, können doch seine Erinnerungen angeblich helfen, die Welt zu retten.
Übrigens auch so ein Ding, dass mich ganz allgemein in Games oft nervt: Kleiner als Weltrettung geht nicht. Warum nicht mal ein wirksames Erkältungsmittel finden? Oder dafür sorgen, dass Bayern München absteigt. Aber nein, wir retten die Welt… wie originell.
Ach wie schön ist Panama Englaland (aber nicht wirklich Nextgen)
So richtig, richtig schön und gelungen ist aber die Darstellung des mittelalterlichen Englalands. Das versinkt nicht in der üblichen schöngefärbten Tünche, sondern macht wirklich glaubhaft einen auf Mittelalter und ist mit so viel Abwechslung, mit so vielen Spots, Sehenswürdigkeiten und Sehenswertem gesegnet, dass es zum tagelangen Erkunden einlädt, während man hofft, dass das Sightseeing nicht von lästigen Raids oder Kämpfen unterbrochen werden möge. Ok, vielleicht liegt das jetzt auch ein wenig am Corona-bedingten Urlaubsentzug, aber das ist wirklich malerisch.
Der Rest der Technik ist ok. Nicht bahnbrechend, nicht überall schimmert Nextgen durch, und so manches, wie etwa die Charaktermodelle, meint man auch vor einigen Jahren schon so gesehen zu haben, und die Masse an Bugs und Glitches überrascht dann auch, aber Licht, Soundtrack und Synchronisation sind … nun ja… befriedigend. Wer sich da aber für seine brandneue Series X ein Game gewünscht hat, dass ihm Augen und Ohren wegbläst, dürfte enttäuscht sein.
Fazit: Weniger Sandbox, mehr Stringenz
Assassins Creed Valhalla ist Assassins Creed – wirklich neu ist hier nichts. Ein paar Sachen wurden anders gewichtet, vieles kommt bekannt vor, die Figuren bleiben meist blass, auch gibt es die üblichen Längen und Wiederholungen. Aber hey, wer sich Assassins Creed kauft, der weiß, was ihn erwartet, und das bekommt er hier auch. Das neue Setting gefällt, Englaland ist wunderschön und hier und da wartet auch die ein oder andere kleine Überraschung auf euch. Und: Weniger Sandbox, mehr Stringenz – damit kann ich gut leben.
Game: Assassins Creed Valhalla
Genre: Action-Adventure
Release: 10.11.2020 (PC/Stadia, PS4/PS5, Xbox One/Xbox Series )
Entwickler/Publisher: Ubisoft
USK: ab 18
Sprachausgabe/Texte: Deutsch/Deutsch
Webseite: https://www.ubisoft.com/de-de/game/assassins-creed/valhalla
Wertung: 8 von 10