Wenn ich Ubisoft und Open World in einem Satz höre, muss ich schlagartig an Heuhaufen, Adler, freischaltbare Gebiete und an viel zu viel Sammelkram und repetitive Nebenmissionen denken. Eben an die berüchtigte Ubi-Formel, nach der fast sämtliche Serien von denen wie Assassins Creed, Far Cry, Ghost Recon und wie sie alle heißen nach dem immer selben Muster vom Fließband kommen.
Als ich dann von Immortals Fenyx Rising hörte, war mein erster Gedanke „sicher wieder so ein Fließband-Ding im abgerockten Gamedesign mit den immer selben Versatzstücken, nur mit einem anderen Setting und Helden – kannste Dir schenken.“ Wobei das mit dem neuen Setting noch nicht einmal so ganz stimmt – das antike Griechenland hatten wir ja schon zuletzt in Assassins Creed Odyssey. Das übrigens – genau wie Immortals – vom Ubisoft-Team in Quebec stammt.
Natürlich habe ich dann trotzdem mal reingeschaut. Eher, um mich davon zu überzeugen, dass ich mit meinen Vorurteilen Recht hatte und ich wirklich nichts verpasse. Und dann die Überraschung: Immortals Fenyx Rising ist ja richtig gut, es gehört sogar zu meinen persönlichen Top 3 in diesem Jahr. Womit ich das Fazit ja nun eigentlich schon vorweg genommen habe. Wer jetzt trotzdem dranbleibt, der erfährt auch, wie ich darauf komme.
Audio/Podcast zum Gamecheck:
Mein Pile of Shame: Fenyx ist schuld!
Vor einiger Zeit hatte ich mal wieder das großartige Zelda Breath of the Wild auf der Switch rausgekramt. Vor drei Jahren hatte ich das mal schwer gesuchtet, aber dann kamen andere Games dazwischen und ich hatte den Faden verloren. Und wie das so ist: Irgendwann landen solche Games dann auf dem Pile of Shame, beschriftet mit „Muss ich noch zu Ende spielen“
Na, das beruhigt mich ja. Drei Wochen lang hab ich das dann wieder gespielt, ungefähr bis zu der Stelle, wo ich damals raus war. Und dann kam – ihr ahnt es – Immortals Fenyx Rising. Das an jeder Ecke hat Zelda erinnert und sich anscheinend viel aus Nintendos Kultgame kop… ähm… abgeschaut hat, mir an den entscheidenden Stellen aber – ja, ihr dürft mich jetzt ruhig hassen, Nintendo Fanboys – sogar noch ein bisschen besser gefällt. Weshalb Breath of the Wild erneut auf dem Pile of Shame darauf wartet, dass ich mit Fenyx durch bin. Aber das kann noch was dauern.
Die Götter müssen verrückt sein
Fenyx spielt – wie schon angedeutet – im antiken Griechenland auf der fiktiven „Goldenen Insel“. Wo aber lange nicht alles so golden ist wie der Name es andeutet. Grund ist eine schwere Meinungsverschiedenheit, die die antiken Götter mit einer monströsen Gestalt hatten: Typhon. Ich zitiere mal eben aus Wikipedia: „Er wurde als unbeschreiblich grässliches Ungeheuer, als himmelhoher Riese mit zahlreichen Drachen– und Schlangenköpfen vorgestellt, die entweder seinen Haaren, seinen Schultern oder seinen Händen entwuchsen und in der Sprache der Götter und vieler Tiere sprechen konnten. Sein Unterleib endete in zwei mächtigen Schlangenleibern anstelle der Beine. Im Kampf um die Vorherrschaft über die Welt unterlag er in fürchterlichem Götterkampf schließlich Zeus.“ Zitat Ende. Dieser antiken Sage folgt auch das Game.
Der Berg, unter dem Typhon begraben wird, ist der Sage nach der Ätna auf Sizilien. Weshalb der bis heute dann auch immer mal wieder ausbricht, weil Typhon in seinem Inneren wütet. Das Game aber strickt die Sage noch etwas weiter. Durch eine Kette unglücklicher Verstrickungen – in denen Helios und brennende Sterne, die auf die Erde fielen und Typhons Ketten schmolzen – eine Rolle spielten, kam selbiger wieder frei und schwor Rache. Und die fiel dann ziemlich heftig aus. Die Menschen wurden zu Stein verwandelt, die Götter ihrer Macht beraubt. Ja es sieht wahrhaftig übel aus für die Menschheit, die Götter und für die goldene Insel. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Typhon als neuer Gottvater etabliert und die Herrschaft an sich reißt.
Wir brauchen Helden. Und ganz viel Humor.
Der versierte Ubisoftgamer weiß was kommt: Ein Held (Ja, Heldin geht hier natürlich auch) taucht auf, um die Welt zu retten. Wobei „Held“ hier übertrieben ist. Und vom „Welt retten“ weiß der auch anfangs nichts. Was mich zur ersten originellen Eigenart dieses Games bringt: Die Geschichte nämlich wird aus dem Off erst erzählt, später kommentiert, und zwar von Zeus und Prometheus, zwei grantelnden alten Kerlen, ein Mix aus dem Erzähler der antiken griechischen Tragödie und Waldorf und Statler aus der Muppets Show. Während Fenyx die Welt rettet oder besser: Es versucht, schwelgen die beiden in Erinnerungen, reden von Wahrsagerinnen, die sie mal verwandelt haben, beschließen, weniger zu trinken oder streiten sich, ob Herkules nun „Herkuleees“ oder „Herkulesss“ ausgesprochen wird.
Das zieht sich wie ein roter Faden durchs Spiel. Muss nicht jeder lustig finden und manchmal ist das auch eine bisschen Holzhammer zu viel, aber insgesamt tut das dem Spiel richtig gut, finde ich. Zelda ist mir dagegen in der Beziehung ein wenig zu ernst bzw. nimmt sich zu ernst. Ich mags halt gern ein wenig lockerer, aber das ist Geschmackssache.
Was Helden halt so machen
Fenyx. Der ist anfangs bemüht, ein paar schlagkräftige und natürlich legendäre Waffen einzusammeln, um überhaupt eine Chance gegen Typhon und all die Kreaturen und Geister zu haben, die die goldene Insel bevölkern. Nachdem er alles zusammen hat, kann es losgehen. Wobei auch da jede Errungenschaft von Zeus und seinem Kumpel ausgiebigst kommentiert werden müssen („Ich würde die Dinger ja nicht anpacken. Wer weiß, wo die schon überall gewesen sind“). Und ja: Die Flügel, die Fenyx findet, erinnern an Links Paraglider.
Wie gesagt – ich finde so was lustig. Aber jeder Jeck ist da anders. Anlaufpunkt, Headquarter oder wie immer ihr das nennen wollt – also die Zentrale für die Unternehmungen von Fenyx ist die legendäre Halle der Götter. Die unserem Götter-Fanboy erstmal den Atem verschlägt. Götterbote Hermes, den Fenyx schon ziemlich zu Beginn kennenlernt – wovon er übrigens ziemlich begeistert ist, ihr wisst schon, Götter-Fanboy und so – also, Götterbote Hermes ist von dem alten Gemäuer dagegen nicht sonderlich beeindruckt – altbackene Säulen, moniert er.
Götterhalle und Sammelkram
Hier in der Halle der Götter können wir Fenyx Waffen und seine Flug-, Kletter-, Kampf- und andere
Fähigkeiten verbessern, seine Lebens- und Energieleiste verlängern, Tränke brauen oder jederzeit sein Aussehen ändern. Für all das braucht ihr natürlich den obligatorischen Sammelkram. Ambrosia oder Granatäpfel für Lebensleiste, Obst und Gemüse für die Tränke, die Blitze von Zeus oder Pilze für die Energieleiste, Münzen für die Fähigkeiten und so weiter. Ja, ich weiß, das ist nicht unbedingt neu. Zum einen steht das aber nicht wirklich im Mittelpunkt und wird damit zum nervigen Selbstzweck, zum anderen macht es zumindest mit dem neuen PS5-Controller richtiggehend Spaß, wenn der beim Blick durchs Fernrohr umso schneller vibriert, je näher man einem Such- oder Sammelobjekt kommt.
Es gibt viel zu tun – fangt schon mal an.
Da gibt es Schatztruhen, bewachte Schatztruhen, epische Schatztruhen oder Schatztruhen, die nur bei Nacht erscheinen, gewaltige Statuen, auf die ihr erklettern müsst, um euch einen Überblick zu verschaffen, Rennen auf Zeit, Verschieberätsel, Bogenschießübungen, oder die über die gesamte Spielewelt verteilten Tartaros-Gewölbe, in denen ihr zum Teil recht heftige Physikrätsel lösen müsst, um am Ende mit einem Zeus-Blitz und anderen Nützlichkeiten belohnt zu werden. Ja, Zelda-Schreine, ich weiß.
Die Spielewelt ist in vier Bereiche unterteilt, in denen jeweils eine Gottheit herrscht und erlöst werden muss – nämlich Aphrodite, Athene, Ares und Hephaistos plus drei weitere Areale. Die Gebiete sind von Beginn an zugänglich und müssen nicht erst freigekämpft werden. Auf die Statuen müsst ihr nur klettern, um den Nebel auf dem betreffenden Kartenabschnitt zu lichten, ansonsten aber gibt es da keine Beschränkungen – ja, richtig, genau wie bei Zelda. Da muss sich also niemand über etwaige Ubisoft-Formeln aufregen.
Jede dieser Hauptquests besteht aus drei bis vier größeren Missionen. Dazu kommen die bereits erwähnten Sammel- und Nebenmissionen wie die im Tartaros plus Tages- und längerfristige Aufgaben, die ihr von Hermes in der Halle der Götter bekommt. Anders als in anderen Ubisoftgames hatte ich hier aber nie das Gefühl, mit sich ständig wiederholenden Nebenmissionen zugemüllt zu werden, so dass ich die am Ende nur noch lustlos abarbeite. Klar folgen auch die Immortals-Aufgaben meist einem bestimmten Muster, doch wird das stets so geschickt variiert, dass das nicht so auffällt.
Fight! Ride! Learn!
Gekämpft wird natürlich auch, und das nicht zu knapp. Gegen Zyklopen, Harpyien, Geistersoldaten, Gorgonen und einige mehr, mit Schwert, Bogen, Axt und spezielle göttliche Fähigkeiten wie dem Hammer des Hephaistos oder dem Zorn des Ares. Die Zahl an Moves ist überschaubar, aber mit dem richtigen Timing und geschickten Ausweichmanövern lassen sich hier schöne Kombos zaubern.
Größere Strecken werden entweder per Teleport zurückgelegt – sofern ihr das Ziel schon mal besucht habt – oder mit einem Reittier, die recht leicht zu zähmen sind. Da finden sich neben Pferden und Hirschen auch einige leistungsstarke Fabelwesen. Ja ich weiß, Link musste auch Reittiere zähmen.
Ganz nebenbei erfahrt ihr auch noch einiges über die griechische Sagen- und Götterwelt, das macht neugierig auf mehr. Bei den vielen Namen kann man aber schon mal durcheinanderkommen.
Easy going…
Was Immortals Fenyx Rising aber ganz besonders gut gelingt, ist, die verschiedenen Blöcke aus Action, Rätseln und Erkunden perfekt zu verschachteln und zu einem homogenen Ganzen zu verschmelzen. Da gibt es keine Brüche, keinen Leerlauf, auch nie das Gefühl, hier wäre etwas fehl am Platz oder aufgesetzt – Panta Rhei, um es mal mit den alten Griechen zu sagen, alles fließt, das Spiel hat eine wunderbare, unbeschwerte Leichtigkeit, die den meisten anderen Games fehlt..
Ist das schön!
Ein weiterer herausragender Glanzpunkt ist die Grafik. Diese Weitsicht! Diese Farben! Diese vielen Details! Und vor allem: diese Abwechslung! Jedes Gebiet der Insel ist thematisch an die betreffende Gottheit angelehnt und reicht von verträumter heile Welt mit Bienchen, Blümchen und Wasserfällen bis hin zu karg-düsteren Gegenden. Die Aquarell-Farbpalette wirkt so knallig schön, als habe ein Kleinkind an den Farbeinstellungen von Papas UHD-Glotze geschraubt, während Licht und Schatten das letzte aus den Objekten herauskitzeln. Ein kunterbunter Mix aus Comiclook, Aquarelltechnik und Cellshading, und wenn der Wind die Blumen auf den üppigen Wiesen schaukelt und am Horizont der Sonnenuntergang einen Wasserfall Gold färbt, dann will man da Urlaub machen oder ganz hinziehen, so schön ist das.
Und während man dann da wohnt, lauscht man dem wunderschönen, relaxten unaufdringlichen Soundtrack, der perfekt zum Spiel passt. Die Kritik an der deutschen Sprachausgabe kann ich nicht nachvollziehen – mir gefallen die Sprecher. Das ist vielleicht nicht die erste Garde, aber die machen einen guten Job.
Fazit
Immortals Fenyx Rising ist der Überraschungstitel zu Weihnachten, den wohl die wenigsten auf dem Schirm hatten. Das Open-World-Abenteuer ist gleichsam packend und entspannend, sieht verdammt gut aus und spielt sich extrem elegant. Die Zelda-Anleihen sind unverkennbar, aber das ist völlig ok; man muss das Rad nicht neu erfinden, um ein gutes Game zu basteln. Und das ist es geworden: Ein richtig gutes Game. Sorry Zelda – du musst doch noch was warten.
Game: Immortals: Fenyx Rising
Genre: Action Adventure
Release: 03.12.2020 (PS5 (getestet), PS4, Xbox One, Xbox Series, Switch, PC, Google Stadia)
Entwickler/Publisher: Ubisoft Quebec / Ubisoft
USK: ab 12
Sprachausgabe/Texte: Deutsch/Deutsch
Webseite: https://www.ubisoft.com/de-de/game/immortals-fenyx-rising
Wertung: 10 von 10